Die Truman-Show – Finale

Es kracht mehrfach heftig im COP – Rauchgranaten explodieren direkt neben dem Zaun des Lagers in der Nähe unseres Zeltes. Es ist Mitternacht und wir haben schon zwei Stunden vorher Maschinengewehrfeuer vom 500 Meter entfernten Waldrand gehört. Das werden wohl “Enemy Forces” sein, die dort auf eine Patrouille amerikanischer Soldaten gestossen sind.

Rauchgranaten explodieren neben dem COP der 228. Kompanie auf dem Gelände des JMRC in Hohenfels / Bayern

Inzwischen sind wir (Dyfed und ich) eine Woche auf dem JMRC – Gelände im bayrischen Hohenfels (das war im März/April 2011) und begleiten Soldaten der 172. Infantry Brigade bei ihrer vorbereitenden Übung für den Afghanistaneinsatz. Und langsam wird diese Truman-Show Alltag – während Dyfed gerade ein Interview mit Captain Perkins von der 228. Company führen will, findet ein Mörserangriff von Taliban auf unser Lager statt. Perkins steht im TOC – dem Tactical Operation Center – das Interview ist abgebrochen und er koordiniert seine Einheiten um die Angriffe abzuwehren.

Draussen steht ein Sergeant der US-Army und wirft von ihm selbst gezündete Rauchgranaten über den Zaun um den genannten Angriff zu simulieren. Das macht ihm offensichtlich so viel Spass wie einem Pyromanen die Silvesterfeier. Immer wieder detonieren die Dinger und er steht mit einem breiten Grinsen daneben. Langsam zieht dichter Rauch über den COP und die US-Soldaten müssen professionell reagieren so wie sie es bei einem echten Angriff in ihrem Einsatzgebiet auch tun müssten.

 

Es herrscht hektische Betriebsamkeit. Die eigenen Mörser des COP werden auf die vermutete Abschussposition der feindlichen Granaten einjustiert. Patrouillenfahrzeuge starten ihre Motoren, ein Platoon Ranger macht sich zum Abmarsch bereit, Black Hawk Hubschrauber fliegen mit ohrenbetäubendem Krach über unseren Köpfen um Verletzte zu bergen die sich scheinbar ausserhalb des COPs befinden … der ganz normale Wahnsinn.

Ziemlich realistisch wie das Alles hier simuliert wird – wenn man nicht genau wüsste dass man auf einem bayrischen Übungsplatz wäre und das alles nur Simulation ist würde einem diese Situation vermutlich den Angstschweiss aus den Poren treiben. So aber schlendere ich mit meiner Kamera durch die herumwuselnden Soldaten, treffe Dyfed der ebenfalls die ganze Situation etwas nachdenklich betrachtet, werde gefragt ob ich mit rausfahren will (was ich nicht will, da es morgen wieder nach Hamburg geht und es ausserdem so stockfinster ist, dass keine Kamera der Welt hier noch Bilder realisieren könnte) und finde mich eine halbe Stunde später rauchend bei ein paar Sanitätssoldaten wieder die gerade ebenfalls nichts zu tun haben – alle Verletzten sind im Helikopter. Pause!

Die letzten Tage laufen gerade noch einmal wie ein kleiner Film in meinem Kopf ab. Wir haben einen Airdrop mitgemacht. Bei einem Airdrop wird auf einem abgesteckten Feld von 1-2 Kilometern Länge von Army Transportflugzeugen Ladung per Fallschirm abgesetzt. Im Normalfall kann das alles sein, von Munition bis zu Baumaterial. Hier bei der Übung werden palettenweise MREs (Fertiggerichte) per Fallschirm abgeworfen, was die am Dropfield wartenden Soldaten zu dem lakonischen Kommentar: “Jetzt bewerfen sie uns schon mit dem Essen” veranlasst.

So ganz funktioniert der Airdrop nicht, bei einer Palette öffnen sich die Fallschirme nicht und die Palette mit den Essenspaketen kracht ungebremst in den Wald wo sich die Pakete in einem Radius von hunderten Metern verteilen. Problematischerweise wird es jetzt noch dunkel und wir fahren erst wieder rein bis auch das letzte Paket unter Taschenlampensuche aus dem Wald geborgen ist. Liegenlassen ist nicht – die auf dem grossen Truppenübungsplatz heimischen Tiere könnten sich an den Verpackungen und dem Inhalt verletzen oder vergiften … Die Suche dauert und der Kommentar des Bordschützen meines Humvees zu der ganzen Aktion ist “Fuck the wildlife” (und da die Situation wirklich abstrus ist löst sie grosses Gelächter bei Dyfed und mir aus) – trotzdem hilft auch unser Bordschütze fleissig suchen.

Wir sind mit auf Patrouille gewesen, haben uns in die Marschordnung eines Platoons eingereiht, sind durch den Wald gelatscht, Hügel hoch und runter …

Wir haben rappende Kampffahrzeugsbesatzungen, afghanische Übersetzer, Westpoint-Absolventen, Soldaten die fast noch Kinder wahren, Haudegen, die bei fast jedem bewaffneten Konflikt den amerikanische Truppen in den letzten Jahren geführt haben dabei waren, Sonnenblumenkern-Kauende Sergeants, einen Golf GTI Fan,  Mannschaftsdienstgrade, Unteroffiziere und Offiziere getroffen und teilweise vollständig durchgeschrotete manchmal aber auch sehr weise Sprüche gehört. Man erinnere dabei nur an einen 21-jährigen Funker, der im Irakkrieg (da war er 18) einen Schuss in die schusssichere Weste abbekommen hat und sich am meisten über das Geld gefreut hat dass er aufgrund seiner Verletzung (bei einem Schuss in die vordere Weste brechen meistens mehrere Rippen) von der Army bekommen hat … Das er mit dem Leben davon gekommen ist erschien ihm selbstverständlich. Eine krude Vorstellung …

Es gäbe noch eine ganze Menge kleinerer und grösserer Anekdoten zu erzählen. Doch es soll auch keine Verklärung der Situation mit lustigen Geschichten erfolgen. Das hier ist – und das sollte man sehr klar sagen – eine Vorbereitung auf den Krieg. Vornehmlich geht es bei diesem Training um eigene Sicherheit, Lernen adäquat zu reagieren wenn eine Situation kritisch wird und im Zweifelsfall auch den gezielten Einsatz von Waffen zu automatisieren. Das muss man sich immer wieder bewusst machen. Die Tatsache dass überall in einem Militärlager Waffen herumliegen oder herumstehen, Munition irgendwo gestapelt wird und Explosivkörper wie Handgranaten und Sprengstoffe immer am Mann sind heisst auch deutlich: Im Zweifelsfall wird davon Gebrauch gemacht. Immer den Spruch im Hinterkopf “das ist eine friedenserzwingende Massnahme” – was für ein Irrsinn!

 

Status – Update

Die Rahmendaten für die Bericherstattung stehen jetzt so einigermassen fest. Los geht’s am 1.September – zurück dann wahrscheinlich am 21.September. Der Hinflug ist fix, das Rückflugdatum ist laut Informationen von Journalisten-Kollegen durchaus variabel.

Wie sagt man so schön – beim Militär ist eben nichts so beständig wie die Lageänderung.

Der Autor neben einer ungepanzerten Version des amerikanischen Militärfahrzeugs Humvee. Foto: John Dyfed Loesche

Vor Ort haben sich die US-Truppen inzwischen “eingerichtet”. Das heisst, dass die 172. Brigade mit der Dyfed und ich in Afghanistan unterwegs sein werden mittlerweile vollständig in die Paktika-Provinz verlegt ist. Zur Verabschiedung der Truppenteile waren wir beide zu Gast in Grafenwöhr – in einem weiteren Blog-Eintrag werde ich dieses Erlebnis in den nächsten Tagen noch mal intensiver beschreiben.

Interessanterweise hat die 172. eine eigene Facebook-Seite auf der sie selbst Bilder und Updates des Einsatzes vor Ort postet. Von Geheimniskrämerei kann also keine Rede sein.

Hier der Link: http://www.facebook.com/172infantrybrigade

Meine Packliste ist indes noch nicht wirklich fertig. Wie schon einmal beschrieben hadere ich noch ein bisschen mit der mitzunehmenden Technik. Ausserdem weiss ich noch nicht genau was alles sonst noch “in den Koffer gehört”, welche Gegenstände rechtzeitig da sind und welche ich mir vor Ort noch besorgen muss etc. -

Vermutlich sind die Vorbereitungen erst in letzter Sekunde wirklich abgeschlossen – oje.

Die Truman-Show – Part 2

Blick auf den COP (Combat Outpost) - eine befestigte Feuerstellung auf dem Truppenuebungsplatz Hohenfels / Bayern.

Wir sollen nach einem Tag in der Forward Operating Base (dem riesigen Zeltlager auf dem Truppenübungsplatz) zum Combat Outpost (COP), einer befestigten Feuerstellung in der die Kompanie stationiert ist, der wir zugeordnet werden, befördert werden. Da das alles unter möglichst realistischen Bedingungen erfolgen soll müssen wir wieder warten. Es müssen mindestens 4 Fahrzeuge gemeinsam fahren – Fahrten einzelner Fahrzeuge sind im Kriegsgebiet nicht erlaubt.

Startbereite Humvees sind genügend da – daran kann es gerade nicht liegen. Das Problem sind die sogenannten “Trip-Tickets”, die nicht vorhanden sind. Jeder Soldat der sich ausserhalb des Einsatzlagers bewegt muss auf einer Liste stehen, damit bekannt ist, dass er unterwegs ist. Wir müssen das auch. Nach einer Stunde werden die Listen dann einfach selbst geschrieben: Name, Dienstgrad, Einheit, Ziel, Blutgruppe … was soll ich da jetzt reinschreiben? Axel, Fotograf, dapd, 5km weiter, A Rh neg, – am besten nicht Fragen.

Mein Trip-Ticket wird akzeptiert und ich steige in einen Humvee der nach 100 Metern leider nicht mehr weiterfährt. Motorprobleme. Also steht auch der Rest der Fahrzeuge … oje!

Die Fahrzeug-Besatzung sucht den Fehler an ihrem Truck. Es werden irgendwelche Kabel abgezogen, Kontakte gereinigt, Kabel umgesteckt – es rührt sich nichts. Das erinnert mich ein bisschen an die Modelleisenbahn, die ich als Kind besessen habe. Das habe ich auch immer an der Elektrik rumgestöpselt und es funktionierte wenn überhaupt dann erst nach sehr viel Try and Error. Irgendein Sergeant löst das Problem in dem er einfach alle griffbereiten Kabel aus irgendeiner Klappe unter dem Lenkrad herauszieht und in den Fussraum baumeln lässt. Erstaunlicherweise funktioniert die Kiste danach problemlos. Am besten nicht Fragen … we’re rollin’!

- kleine Anmerkung: Diese ganzen Akronyme wie TOC, COP, MRE, FOB etc. haben mich verrückt gemacht. Die Soldaten schaffen es zeitweilig sich nur mit diesen Abkürzungen zu unterhalten. Es gibt unzählig Viele, für alle militärischen und nicht-militärischen Begriffe. Und wenn man einer normalen Unterhaltung zwischen Soldaten folgen will ist man am Anfang hauptsächlich damit beschäftigt nachzufragen was denn DAS schon wieder heisst.
Irgendwann habe ich es aufgegeben sie alle verstehen zu wollen. Die wichtigsten habe ich inzwischen drauf – ist ja letztendlich auch ganz praktisch zu wissen dass ein IED ein Improvised Explosive Devices ist. Also eine Sprengfalle über die man nach Möglichkeit nicht drüberfahren oder drauftreten sollte – denn dann krachts ganz heftig. Das dagegen ein MRE – ein Meal Ready to Eat ist muss man nicht unbedingt wissen. Zum Essen wird man meistens gerufen.

Part 3 folgt …

 

Die Truman-Show – Part 1

Der Autor fotografiert bei Nacht in einem Camp des JMRC abrückende US-Truppen. Foto: John Dyfed Loesche

Eine stundenlange Autofahrt bringt Dyfed und mich im März zum JMRC in Hohenfels / Bayern. Das Joint Multinational Readiness Center ist ein riesiger Truppenübungsplatz auf dem die amerikanischen Streitkräfte (und Streitkräfte verbündeter Nationen) für ihre Einsätze trainiert und vorbereitet werden.

Major Nick Sternberg empfängt Dyfed und mich und zeigt uns die obligate Einführuns-Power-Point-Präsentationen über das JMRC,  händigt uns Splitterschutzbrillen, schussichere Westen und das M.I.L.E.S.-System, welches per Tonsignal anzeigt ob wir von in einem Gefecht getroffen worden sind, aus. (Unser M.I.L.E.S.-System hat keine Batterien – wir sind also unverwundbar)

Danach werden wir an den Presseoffizier Major Joseph Buccino übergeben. Begrüssungen, Erklärungen, Vorstellungen aller Mitarbeiter des Pressestabs – es ist spät am Abend bis wir in einer Truppenunterkunft auf dem Gelände unsere erste Schlafstätte finden.

Es ist die unwirkliche Welt des Militärs in der wir uns nun befinden und auch das Frühstück am kommenden Morgen ist noch ziemlich surreal. Verschiedene Fertiggerichte auf Pappgeschirr in einem Speisesaal mit Soldaten aus verschiedensten Nationen – so hab ich noch nie gefrühstückt.

Wir rücken aus in die von den Soldaten so genannte Truman-Show. Im JMRC übt die komplette 172. Infantry Brigade ihren Einsatz in Afghanistan. Es ist unglaublich welcher Aufwand betrieben wurde um die Situationen im realen Einsatzgebiet nachzustellen. Komplette afghanische Dörfer sind aufgebaut worden, Moscheen in der Dorfmitte, die Dörfer tragen die tatsächlichen Namen ihrer realistischen Pendants in Afghanistan.

Laiendarsteller in afghanischer Kluft – sogenannte Role Actors – spielen/simulieren afghanische Bevölkerung und unsere erste Mitfahrt mit einem der überall zu sehenden Humvees (den klassischen amerikanischen Militärfahrzeugen) geht direkt an einer Gruppe bewaffneter “Afghanen” vorbei, die mit ihren Gewehren in die Luft schiessen und eine Hochzeitsgesellschaft spielen, auf die die amerikanischen Soldaten treffen und versuchen die Situation nicht eskalieren zu lassen. Sehr strange!

So ganz richtig sind wir immer noch nicht angekommen und wir werden in ein riesiges Camp gebracht in dem wir mit der ganzen Logistik des US-Militärs konfrontiert werden. Es ist ein Zeltlager von dem aus die Truppenteile an die unterschiedlichen Einsatzpunkte innerhalb des Übungsplatzes verlegt werden.

Wir treffen zum ersten Mal den Batallionskommandeur Lieutenant Colonel Curtis Taylor der uns die Aufgabe im echten Afghanistan erklärt (die Soldaten nennen den realen Fronteinsatz erstaunlicherweise – “when we are in the theater”) und versuchen weiter uns innerhalb dieser sehr ungewohnten Welt zu orientieren.

Wir bekommen unsere ersten MREs (Meals Ready to Eat – seltsame sich selbsterhitzende Fertiggerichte verpackt mit ein paar Süssigkeiten und Kraftriegeln), schlendern durch die Zeltstadt, John (hier heisst Dyfed jetzt John) macht seine ersten Interviews, ich die ersten Bilder und zwischen Dixie-Toiletten, Containerduschen, Humvee -Trucks, übenden und packenden Soldaten nächtigen wir in unserem “Privatzelt” – die Soldaten haben extra ein Schild “Media-Team” vor eines der grossen Mannschaftszelte gehängt, in dem wir nur zu Zweit untergebracht sind.

Andere Journalisten scheint es nicht zu geben. Wir schlafen auf den klassischen Army-Feldbetten, es ist ziemlich kalt – was uns aber noch mehr zusetzt ist die fehlende Kommunikation mit der Aussenwelt. Handynetz im JMRC – Fehlanzeige. Internet-Zugang – ja, aber nur für Angehörige des Militärs. Wir können nicht einmal einen USB-Stick an einen der Army-Rechner hängen ohne das das System Alarm schlagen würde. Sicherheit geht eben vor: In Zeiten von Wiki-Leaks vielleicht sogar verständlich …

Nach wie vor sind wir in einer Warteschleife, überbrücken die Zeit bis zum Abtransport zum eigentlichen Einsatzort mit Kaffee, Zigaretten (ok – John raucht nicht, ich aber) und dem Erforschen der verschiedenen MRE-Typen (Mein Favorit sind die Käse-Tortellinis). Immerhin lernen wir was scheinbar einen grossen Teil jeglicher Zeit bei der Army einnimmt: Das Warten.

Part 2 in den nächsten Tagen …