Angst

Hat man / habe ich Angst mich in ein Kriegs- und Krisengebiet zu begeben? Ja hat man / habe ich!
Haben die Soldaten Angst bei ihren Einsätzen? Ja haben sie!
Wird das bei verschiedenen Gelegenheiten thematisiert? Ja – aber nur extrem selten!

Vielleicht ist es sinnvoll in diesem Blog das Thema Angst zu beschreiben – machmal ist es leichter über etwas zu schreiben, über das man nur schwer sprechen kann. Es mag seltsam erscheinen das gerade jetzt zu tun – schliesslich bin ich ja noch nicht einmal losgefahren. Das heisst aber nicht, dass das Angst – gerade auch weil sie zum jetzigen Zeitpunkt noch sehr unpräzise und fern der Realität stattfindet nicht doch präsent ist.

Im inneren eines Humvees während der vorbereitenden Übung (Mission Rehearsal) im JMRC. Foto: John Dyfed Loesche

Ich werde dazu im Folgenden Bezug auf ein nicht nur von mir als sehr lesenswert erachtetes Buch nehmen: WAR – ein Jahr im Krieg von Sebastian Junger. Nicht nur die Lektüre dieses Buches hat mir bei meinen Vorbereitungen gedanklich sehr geholfen. Auch der direkte Kontakt zu Sebastian, der viele meine Fragen sehr ausführlich beantwortet hat und mir unzählige Tipps für meinen ersten Embed mit auf den Weg gegeben hat haben unter anderem auch das Thema “Angst” zur Grundlage gehabt. Wer eine der meiner Meinung nach eindringlichsten Dokumentationen zum Thema Krieg in Afghanistan lesen will sollte mal auf den Link klicken. Er führt zur Amazon-Seite – normalerweise will ich keine Werbung machen, aber in dem Fall mache ich eine Ausnahme! Dieses Buch lässt niemanden unberührt!

In dem Buch wird eine Szene beschrieben, die mir nachhaltig in Erinnerung geblieben ist. Sebastian erzählt, wie er in einer langen zermürbenden Wartepause auf eine bevorstehende Gefechtssituation, in der er dabei sein wird, einen immer beklommeneren Gesichtsausdruck bekommt bis ihn ein Soldat direkt und so, dass alle anderen Anwesenden es hören anspricht. Dieser sagt: “Es ist OK Angst zu haben – Du darfst sie nur nicht zeigen!

Eine Unterhaltung die ein ähnliches Verhalten zeigt hatte ich selbst während unseres Vorbereitungstrainings im JMRC. Während einer Übungspause habe ich mich eine ganze Weile mit einem Specialist namens Corey unterhalten. Corey war ein Jahr im Irak-Krieg eingesetzt und ist mit der 172. jetzt nach Afghanistan abkommandiert. Auf meine simple Frage, ob er in der Zeit im Irak manchmal Angst gehabt hätte antwortete er sehr verlegen und erst nach langem Zögern mit dem Satz. ” Ja – hatte ich. An jedem beschissenen Tag! Aber ich würde es den Anderen (gemeint sind seine Kameraden in derselben Einheit) niemals erzählen. Und ich bin sicher – denen ging es genau wie mir. Gesagt hat aber Keiner auch nur irgendeinen Ton.”

Scheinbar ist das eine klassische Verhaltensweise – jeder macht Angst grundsätzlich mit sich selbst aus. Vielleicht weil es peinlich ist, Angst zu haben weil man als Schwächling da steht, man verletzlicher ist (eine schlechte Eigenschaft in einem Kriegsgebiet). Vielleicht um nicht eine Spirale von Unsicherheit in Gang zu setzen. Angst scheint ansteckend zu sein – man isoliert sich scheinbar um nicht den Virus der Angst auf Andere zu übertragen und damit sein ganzes Umfeld noch mehr zu verunsichern was dann wieder weitere Angst auslöst.

Sebastian Junger widmet in seinem Buch das gesamte erste Kapitel dem Thema Angst – er beschreibt es dabei viel besser als ich es je könnte. Die Angst eines Journalisten oder eines Soldaten im Kriegsgebiet ist dabei weitaus vielschichtiger als man es auf den ersten Blick annehmen mag. Angst vor Tod und Verletzung ist selbstverständlich, jedoch sind auch die Angst jemanden nicht helfen zu können oder durch eigenes Versagen die Gefährdung anderer zu verursachen Dinge, die einen ebenso zermürben können.

Was also genau verursacht meine Ängste? Zuerst natürlich z.B. die alltäglichen Meldungen aus Afghanistan welche ich regelmässig lese (und das tue ich gerade natürlich sehr häufig) – z.B. der Abschuss des US-Hubschraubers vor wenigen Tagen oder die Nachricht über die Sprengfalle bei der vor drei Tagen zwei Soldaten der Brigade ums Leben gekommen sind mit denen wir demnächst unterwegs sind.

Des weiteren ist es die Ungewissheit und das Unbekannte (das geht sicher Vielen so) – ich fahre in ein Land in dem ich noch nie gewesen bin, dass mir als Mensch zunächst einmal zumindest skeptisch wenn sich sogar verärgert oder feindlich gegeüber steht. Ich bin dort nicht herzlich willkommen und weder eingeladen noch ausdrücklich erwünscht. Ich bin dort eingebettet in eine Militäreinheit die in diesem Land ebenfalls eher ungern gesehen wird (diplomatisch ausgedrückt) und werde demzufolge als ein Teil dieser wahrgenommen.

Diese Situation beschwört die nächste Angst herauf – kann ich unter diesen Umständen und Bedingungen überhaupt gute Arbeit leisten? Ich bin es gewohnt in allen möglichen alltäglichen Situationen Bilder zu machen, aber noch nie habe ich unter derart extremen emotionalen Rahmenbedingungen gearbeitet – das ist für mich kein Alltag. Kann ich unter diesen Bedingungen überhaupt gute Bilder machen? Ist der psychologische Druck nicht zu hoch? Wie wahrscheinlich ist es dabei zu scheitern? Auch das sind Ängst die immer mitschwingen.

Angst kommt und geht ohne dass man selbst besonders grossen Einfluss darauf hat. Es gibt Momente in denen bin ich gelassen und entspannt was den Afghanistan-Besuch angeht. In anderen Momenten bin ich wieder voller Zweifel und Ängste. Allein das zuzugeben ist für mich nicht ganz leicht.

 

 

 

Die Truman-Show – Finale

Es kracht mehrfach heftig im COP – Rauchgranaten explodieren direkt neben dem Zaun des Lagers in der Nähe unseres Zeltes. Es ist Mitternacht und wir haben schon zwei Stunden vorher Maschinengewehrfeuer vom 500 Meter entfernten Waldrand gehört. Das werden wohl “Enemy Forces” sein, die dort auf eine Patrouille amerikanischer Soldaten gestossen sind.

Rauchgranaten explodieren neben dem COP der 228. Kompanie auf dem Gelände des JMRC in Hohenfels / Bayern

Inzwischen sind wir (Dyfed und ich) eine Woche auf dem JMRC – Gelände im bayrischen Hohenfels (das war im März/April 2011) und begleiten Soldaten der 172. Infantry Brigade bei ihrer vorbereitenden Übung für den Afghanistaneinsatz. Und langsam wird diese Truman-Show Alltag – während Dyfed gerade ein Interview mit Captain Perkins von der 228. Company führen will, findet ein Mörserangriff von Taliban auf unser Lager statt. Perkins steht im TOC – dem Tactical Operation Center – das Interview ist abgebrochen und er koordiniert seine Einheiten um die Angriffe abzuwehren.

Draussen steht ein Sergeant der US-Army und wirft von ihm selbst gezündete Rauchgranaten über den Zaun um den genannten Angriff zu simulieren. Das macht ihm offensichtlich so viel Spass wie einem Pyromanen die Silvesterfeier. Immer wieder detonieren die Dinger und er steht mit einem breiten Grinsen daneben. Langsam zieht dichter Rauch über den COP und die US-Soldaten müssen professionell reagieren so wie sie es bei einem echten Angriff in ihrem Einsatzgebiet auch tun müssten.

 

Es herrscht hektische Betriebsamkeit. Die eigenen Mörser des COP werden auf die vermutete Abschussposition der feindlichen Granaten einjustiert. Patrouillenfahrzeuge starten ihre Motoren, ein Platoon Ranger macht sich zum Abmarsch bereit, Black Hawk Hubschrauber fliegen mit ohrenbetäubendem Krach über unseren Köpfen um Verletzte zu bergen die sich scheinbar ausserhalb des COPs befinden … der ganz normale Wahnsinn.

Ziemlich realistisch wie das Alles hier simuliert wird – wenn man nicht genau wüsste dass man auf einem bayrischen Übungsplatz wäre und das alles nur Simulation ist würde einem diese Situation vermutlich den Angstschweiss aus den Poren treiben. So aber schlendere ich mit meiner Kamera durch die herumwuselnden Soldaten, treffe Dyfed der ebenfalls die ganze Situation etwas nachdenklich betrachtet, werde gefragt ob ich mit rausfahren will (was ich nicht will, da es morgen wieder nach Hamburg geht und es ausserdem so stockfinster ist, dass keine Kamera der Welt hier noch Bilder realisieren könnte) und finde mich eine halbe Stunde später rauchend bei ein paar Sanitätssoldaten wieder die gerade ebenfalls nichts zu tun haben – alle Verletzten sind im Helikopter. Pause!

Die letzten Tage laufen gerade noch einmal wie ein kleiner Film in meinem Kopf ab. Wir haben einen Airdrop mitgemacht. Bei einem Airdrop wird auf einem abgesteckten Feld von 1-2 Kilometern Länge von Army Transportflugzeugen Ladung per Fallschirm abgesetzt. Im Normalfall kann das alles sein, von Munition bis zu Baumaterial. Hier bei der Übung werden palettenweise MREs (Fertiggerichte) per Fallschirm abgeworfen, was die am Dropfield wartenden Soldaten zu dem lakonischen Kommentar: “Jetzt bewerfen sie uns schon mit dem Essen” veranlasst.

So ganz funktioniert der Airdrop nicht, bei einer Palette öffnen sich die Fallschirme nicht und die Palette mit den Essenspaketen kracht ungebremst in den Wald wo sich die Pakete in einem Radius von hunderten Metern verteilen. Problematischerweise wird es jetzt noch dunkel und wir fahren erst wieder rein bis auch das letzte Paket unter Taschenlampensuche aus dem Wald geborgen ist. Liegenlassen ist nicht – die auf dem grossen Truppenübungsplatz heimischen Tiere könnten sich an den Verpackungen und dem Inhalt verletzen oder vergiften … Die Suche dauert und der Kommentar des Bordschützen meines Humvees zu der ganzen Aktion ist “Fuck the wildlife” (und da die Situation wirklich abstrus ist löst sie grosses Gelächter bei Dyfed und mir aus) – trotzdem hilft auch unser Bordschütze fleissig suchen.

Wir sind mit auf Patrouille gewesen, haben uns in die Marschordnung eines Platoons eingereiht, sind durch den Wald gelatscht, Hügel hoch und runter …

Wir haben rappende Kampffahrzeugsbesatzungen, afghanische Übersetzer, Westpoint-Absolventen, Soldaten die fast noch Kinder wahren, Haudegen, die bei fast jedem bewaffneten Konflikt den amerikanische Truppen in den letzten Jahren geführt haben dabei waren, Sonnenblumenkern-Kauende Sergeants, einen Golf GTI Fan,  Mannschaftsdienstgrade, Unteroffiziere und Offiziere getroffen und teilweise vollständig durchgeschrotete manchmal aber auch sehr weise Sprüche gehört. Man erinnere dabei nur an einen 21-jährigen Funker, der im Irakkrieg (da war er 18) einen Schuss in die schusssichere Weste abbekommen hat und sich am meisten über das Geld gefreut hat dass er aufgrund seiner Verletzung (bei einem Schuss in die vordere Weste brechen meistens mehrere Rippen) von der Army bekommen hat … Das er mit dem Leben davon gekommen ist erschien ihm selbstverständlich. Eine krude Vorstellung …

Es gäbe noch eine ganze Menge kleinerer und grösserer Anekdoten zu erzählen. Doch es soll auch keine Verklärung der Situation mit lustigen Geschichten erfolgen. Das hier ist – und das sollte man sehr klar sagen – eine Vorbereitung auf den Krieg. Vornehmlich geht es bei diesem Training um eigene Sicherheit, Lernen adäquat zu reagieren wenn eine Situation kritisch wird und im Zweifelsfall auch den gezielten Einsatz von Waffen zu automatisieren. Das muss man sich immer wieder bewusst machen. Die Tatsache dass überall in einem Militärlager Waffen herumliegen oder herumstehen, Munition irgendwo gestapelt wird und Explosivkörper wie Handgranaten und Sprengstoffe immer am Mann sind heisst auch deutlich: Im Zweifelsfall wird davon Gebrauch gemacht. Immer den Spruch im Hinterkopf “das ist eine friedenserzwingende Massnahme” – was für ein Irrsinn!

 

The Truman-Show – Part 3

Ein Soldat der US-Army sichert auf dem Truppenuebungsplatz in Hohenfels eine Strasse in einem nachempfundene afghanischen Dorf.

Wir werden in einem Zelt zusammen mit den Übersetzern beherbergt. Zwei Pakistanis und ein Afghane die in Deutschland und Österreich leben und für die Zeit der “Mission Rehearsal” als Dolmetscher mit den US-Soldaten in den Camps untergebracht sind. Durch die Unterbringung zusammen mit den Übersetzern lernen wir eine Menge über Afghanistan und dortige  Traditionen, Lebensweisen und Gebräuche. Die Drei nutzen jede Chance um uns ein bisschen auf das vorzubereiten, was uns in ihrer alten Heimat erwartet.

Um den Job der Übersetzer besser zu verstehen muss man sich ansehen, wie ein klassischer Einsatz funktioniert. Bei einem Einsatz von US-Truppen in Afghanistan sind immer auch Soldaten der ANA – der Afghan National Army – dabei. Die Verständigung zwischen Afghanischen- und US-Soldaten ist natürlich nur durch Dolmetscher zu realisieren. Ausserdem müssen sie die Übersetzung zwischen US-Soldaten und der afghanischen Zivilbevölkerung manchmal sogar die übersetzung von Afghanischen Soldaten und der Zivilbevölkerung (die teilweise die unterschiedlichen Landessprachen “Dari” und “Paschtu” sprechen) leisten.

Im JMRC wird das ganze dann richtig konfus. Ein Pakistani der in Deutschland lebt (und sowohl Dari und Paschtu als auch Englisch und Deutsch spricht) spielt in einem Rollenspiel einen afghanischen Übersetzer, der zwischen Afghanischen Soldaten, die erstaunlicherweise von polnischen Nato-Soldaten gespielt werden (die fast kein Englisch und kaum Deutsch können) , US-Soldaten (die Englisch und teilweise Deutsch sprechen), afghanischen Rollendarstellern die aus Afghanistan kommen (und teils Dari, teils Paschtu sprechen und Deutschen Rollendarstellern, die Afghanen spielen (und Deutsch und nur wenig Englisch sprechen) übersetzt. Verstanden? Nicht? – na dann versuche ich mich mal als Übersetzer …

Eine Situation beschreibt ganz gut, was bei einem solch babylonischen Sprach- und Nationengewirr rauskommt. Die Situation ist folgende: Amerikanische Soldaten sollen üben, wie sie sich in einem afghanischen Dorf zu verhalten haben und dort mit der Zivilbevölkerung und der Afghanischen Armee zu kommunizieren.

Der Auftrag ist, zu besprechen, wie die lokale Polizei besser bei der Reparatur der lokalen Polizeistation unterstützt weren kann die gerade in einem etwas erbärmlichen Zustand ist. Wir befinden uns in der Truman -Show – los gehts.

Die amerikanische Patrouille macht sich in ihrem Lager bereit ein kleines afghanische Dorf zu betreten. Dabei sind ein Übersetzer (ein gebürtiger Pakistani), mehrere Soldaten der afghanischen Armee (in diesem Falle polnische Soldaten), ein Journalist und ein Fotograf (beides Deutsche – nämlich Dyfed und ich), und natürlich ein Platoon US-Soldaten.  In Marschformation betreten wir ein eigens auf dem Truppenübungsplatz errichtetes “afghanisches Dorf” und begrüssen die dort wohnenden Einheimischen (ein paar Deutsche und ein paar Afghanen, sowie ein par Polen). Der Leutnant der US-Armee, der die Gespräche führt begrüsst den lokalen Polizeichef auf Englisch. Der jedoch versteht nicht wirklich viel, da er Pole ist. Der Übersetzer der eigentlich zwischen den beiden dolmetschen soll versteht nun leider auch kein polnisch sodass es ein etwas kruder Mix aus Englisch und Deutsch wird, mit dem man sich über die kommenden Arbeiten an der Polizeistation einigt. Die mit uns ins Dorf gegangenen Polen der ANA halten sich aus allen Übersetzungen raus – warum auch immer …

Glücklicherweise kommt noch ein afghanischer Geschäftsmann dazu (gespielt von einem Deutschen), der dankenswerterweise den Auftrag für die Reparatur der Polizeistation annimmt – ohne das die polnischen Polizisten nun verstehen was genau er in Zukunft macht. Aber er kann durchsetzen dass er demnächst die Reparaturen durchführt. Na immerhin bekommt er Geld dafür.

Inzwischen kommen ein paar Dorfbewohner (alles Deutsche) dazu und fangen ein bisschen Small-Talk mit den ebenfalls rumstehenden US-Soldaten an. Da die Dorfbewohner nicht wirklich Englisch sprechen, verstehen die US-Soldaten kaum etwas, da man sich aber als Rollendarsteller doch ein bisschen engagieren muss küren sie mich als Ziel aus … Sie halten mich für einen Angehörigen der US-Armee und fangen an mich misstrauisch zu fragen, ob ich mit den Kameras  wohl ihre Frauen fotografiert habe (was ein absolutes NO-GO wäre). Das tun sie auf Deutsch – und weil der Übersetzer nicht ganz so gut Deutsch spricht, hat er nicht verstanden was sie von mir wollen. Ich fühle mich also genötigt mich als Deutscher zu outen und antworte ihnen auf Deutsch, dass ich keine Frauen fotografiert habe.

Das löst allgemeine Heiterkeit aus (nicht das ich keine Frauen fotografiert habe, sondern die Tatsache dass ich Deutsch spreche) was wiederum erstens den armen Übersetzer vollständig arbeitslos macht und zweitens die US-Soldaten glauben lässt, dass alles in bester Ordnung ist und sie nun überzeugt sind dass ich ein besserer Übersetzer als der Eignentliche bin und ich von ihnen gefragt werde, ob ich nicht dem polnischen Polizisten noch mal erklären kann was an der maroden Polizeistation zu tun sein. Das klappt nicht – ich spreche ja kein polnisch – und löst sowohl bei den polnischen Polizisten als auch den US-Soldaten die Deutsch sprechen relativ viel Gelächter aus. Der Gesichtsausdruck des Übersetzers, der sich inzwischen völlig überflüssig fühlt tut ein Übriges um die inzwischen ausgelassene Stimmung noch weiter zu befeuern.

Was lernen wir daraus: Nicht jede Situation lässt sich so einfach nachstellen. In Afghanistan selbst, wo diese Situation real gewesen wäre gibt es keine polnischen Polizisten und Deutsche Fotografen, die mit der Landesbevölkerung rumalbern gibt es sicher auch nicht. Und die Übersetzer müssen nicht zwischen zwei Sprachen übersetzen von denen sie eine selbst kaum verstehen. Hätten alle nur Englisch und Paschtu gesprochen (man kann davon ausgehen, dass hauptsächlich diese beiden Sprachen in Afghanistan aufeinandertreffen)  wäre es vermutlich anders – also seriöser und ernsthafter – abgelaufen.

Nun ja – es ist nicht so, dass wir nicht auch auf sehr realistische Simulationen des US-Einsatzes gestossen wären …

Davon vielleicht mehr in Part 4 …

 

 

Die Truman-Show – Part 1

Der Autor fotografiert bei Nacht in einem Camp des JMRC abrückende US-Truppen. Foto: John Dyfed Loesche

Eine stundenlange Autofahrt bringt Dyfed und mich im März zum JMRC in Hohenfels / Bayern. Das Joint Multinational Readiness Center ist ein riesiger Truppenübungsplatz auf dem die amerikanischen Streitkräfte (und Streitkräfte verbündeter Nationen) für ihre Einsätze trainiert und vorbereitet werden.

Major Nick Sternberg empfängt Dyfed und mich und zeigt uns die obligate Einführuns-Power-Point-Präsentationen über das JMRC,  händigt uns Splitterschutzbrillen, schussichere Westen und das M.I.L.E.S.-System, welches per Tonsignal anzeigt ob wir von in einem Gefecht getroffen worden sind, aus. (Unser M.I.L.E.S.-System hat keine Batterien – wir sind also unverwundbar)

Danach werden wir an den Presseoffizier Major Joseph Buccino übergeben. Begrüssungen, Erklärungen, Vorstellungen aller Mitarbeiter des Pressestabs – es ist spät am Abend bis wir in einer Truppenunterkunft auf dem Gelände unsere erste Schlafstätte finden.

Es ist die unwirkliche Welt des Militärs in der wir uns nun befinden und auch das Frühstück am kommenden Morgen ist noch ziemlich surreal. Verschiedene Fertiggerichte auf Pappgeschirr in einem Speisesaal mit Soldaten aus verschiedensten Nationen – so hab ich noch nie gefrühstückt.

Wir rücken aus in die von den Soldaten so genannte Truman-Show. Im JMRC übt die komplette 172. Infantry Brigade ihren Einsatz in Afghanistan. Es ist unglaublich welcher Aufwand betrieben wurde um die Situationen im realen Einsatzgebiet nachzustellen. Komplette afghanische Dörfer sind aufgebaut worden, Moscheen in der Dorfmitte, die Dörfer tragen die tatsächlichen Namen ihrer realistischen Pendants in Afghanistan.

Laiendarsteller in afghanischer Kluft – sogenannte Role Actors – spielen/simulieren afghanische Bevölkerung und unsere erste Mitfahrt mit einem der überall zu sehenden Humvees (den klassischen amerikanischen Militärfahrzeugen) geht direkt an einer Gruppe bewaffneter “Afghanen” vorbei, die mit ihren Gewehren in die Luft schiessen und eine Hochzeitsgesellschaft spielen, auf die die amerikanischen Soldaten treffen und versuchen die Situation nicht eskalieren zu lassen. Sehr strange!

So ganz richtig sind wir immer noch nicht angekommen und wir werden in ein riesiges Camp gebracht in dem wir mit der ganzen Logistik des US-Militärs konfrontiert werden. Es ist ein Zeltlager von dem aus die Truppenteile an die unterschiedlichen Einsatzpunkte innerhalb des Übungsplatzes verlegt werden.

Wir treffen zum ersten Mal den Batallionskommandeur Lieutenant Colonel Curtis Taylor der uns die Aufgabe im echten Afghanistan erklärt (die Soldaten nennen den realen Fronteinsatz erstaunlicherweise – “when we are in the theater”) und versuchen weiter uns innerhalb dieser sehr ungewohnten Welt zu orientieren.

Wir bekommen unsere ersten MREs (Meals Ready to Eat – seltsame sich selbsterhitzende Fertiggerichte verpackt mit ein paar Süssigkeiten und Kraftriegeln), schlendern durch die Zeltstadt, John (hier heisst Dyfed jetzt John) macht seine ersten Interviews, ich die ersten Bilder und zwischen Dixie-Toiletten, Containerduschen, Humvee -Trucks, übenden und packenden Soldaten nächtigen wir in unserem “Privatzelt” – die Soldaten haben extra ein Schild “Media-Team” vor eines der grossen Mannschaftszelte gehängt, in dem wir nur zu Zweit untergebracht sind.

Andere Journalisten scheint es nicht zu geben. Wir schlafen auf den klassischen Army-Feldbetten, es ist ziemlich kalt – was uns aber noch mehr zusetzt ist die fehlende Kommunikation mit der Aussenwelt. Handynetz im JMRC – Fehlanzeige. Internet-Zugang – ja, aber nur für Angehörige des Militärs. Wir können nicht einmal einen USB-Stick an einen der Army-Rechner hängen ohne das das System Alarm schlagen würde. Sicherheit geht eben vor: In Zeiten von Wiki-Leaks vielleicht sogar verständlich …

Nach wie vor sind wir in einer Warteschleife, überbrücken die Zeit bis zum Abtransport zum eigentlichen Einsatzort mit Kaffee, Zigaretten (ok – John raucht nicht, ich aber) und dem Erforschen der verschiedenen MRE-Typen (Mein Favorit sind die Käse-Tortellinis). Immerhin lernen wir was scheinbar einen grossen Teil jeglicher Zeit bei der Army einnimmt: Das Warten.

Part 2 in den nächsten Tagen …