Am Samstag erleben wir ein besonderes Spektakel. Aus dem Gefechtsstand der Mörser werden mit Kaliber 120mm Leuchtgranaten Richtung des Städtchens Sar Howza geschossen. Ein unglaublicher Lärm! Diese Geschossen beleuchten ein Gefechtsfeld über den Zeitraum von fast einer Minute in einem Durchmesser von etwa 1km. Was als Test mit zwei, drei Granaten gedacht war wird auf einmal ernster. Vom Feuerleitstand gibt es den Befehl noch deutlich mehr dieser Granaten abzuschießen. Warum das so ist wird nicht ganz klar, aber die Soldaten in der Mörserstellung arbeiten schneller, konzentrierter und ruhiger. Angeblich sind durch den Einsatz dieser Geschosse Special Forces, die irgendwo da draussen operieren auf “Insurgants” (also Aufständische) aufmerksam geworden und fordern weitere Beleuchtung an. Da aber die Special Forces ein Thema sind über das man insbesondere Journalisten nicht informiert bleibt nur die Vermutung im Raum – äussern will sich niemand mehr. Weitere 10 Granaten illuminieren die Hügel vor dem COP.
Der 11. September geht einigermassen spurlos an uns vorbei … es gibt zwar leicht erhöhte Sicherheitsstufen, von denen ist aber nichts zu sehen. Business as usual – auch den Soldaten ist nichts anzumerken – wenn man sie zu diesem Datum befragt reagieren sie sogar leicht genervt. Ueberzeugenste Antwort eines Private: “!1.. September? Keine Ahnung Mann, als das passiert ist bin ich gerade aus der Grundschule gekommen – was soll ich gross dazu sagen?”
Der 12. September ist wieder einmal Patrouillentag. Für uns geht es zum ersten Mal in die Stadt Sar Howza. Nicht direkt in die Stadt – aber mit mehreren MRAPs geht es zum Basar der Stadt. Die Fahrzeuge wirken neben den Lehmhütten des Basars wie Maschinen aus einem Science-Fiktion -Film. Über eine Polizeistation erreichen wir zu Fuss den Rand des Basars. Teile des Dachs dieser Station sind eingestürzt, die Wände sind russgeschwärzt und vierschrötige Gestalten in viel zu grossen Polizeiuniformen begleiten uns auf dem weiteren Weg Richtung Bazar.
Was für ein Kulturschock – die Strassen sind mit Müll uebersät, es stinkt von den Abwässern die aus den Häusern direkt auf die Strasse geleitet werden, verlauste Hunde streunen zwischen Marktständen die die Bezeichnung nicht verdienen. Es gibt weder Strom noch fliessend Wasser. “Afghan Standard” raunt mir Staf Sergeant Nunez zu, und angeblich gibt es viele Städte die noch viel schlimmer aussehen. Schlimmer? Geht meiner Meinung nach gar nicht! Praktika ist eben die ärmste Provinz Afghanistans …
Die Bewohner schauen uns missmutig an, nur die Kinder nehmen direkt Kontakt zu den schwerbewaffneten Soldaten auf. Sie wollen Geschenke – das kennen sie schon. Am liebsten Kugelschreiber. Die sind besonders begehrt. Papier ist auch immer wieder gefragt – ist nichts mehr zu holen trollen sie sich sofort wieder.
Meine Kamera kennen sie nicht und als ich sie ans Auge nehme scheinen sie zu glauben das ich mit einer Waffe ziele und rennen erst mal weg. Diese Sch … auffälligen Spiegelreflexkameras.
Ein Soldat der afghanischen Polizei zwingt einige der Kinger zu mir zu kommen – ich zeige ihnen den Monitor und dann haben sie ganz schnell begriffen wie das geht. Jeder will unbedingt den Auslöser drücken und auf den Monitor schauen. Danach laufen sie neben mir her und drücken immer wieder auf den Auslöser der Kamera die ich gerade nicht benutze während ich mit der anderen fotografiere. Neben mir klickert es ständig und Sergeant Arias, der mich nicht aus den Augen lässt grinst mich an und hält mir den Inhalt meiner Hosentaschen unter die Nase. Den haben mir die Kids beim rumklickern gleich mitgemopst. Da Arias das schon kannte stand er hinter den Kindern und hat ihnen gleich wieder alles abgenommen.
Wir verlassen den Basar und machen es uns auf der Kompanieveranda mit unseren Laptops bequem. Staff Sergeant Puchalsky hat eine Bitte – er wird gleich operiert und möchte, dass ich das fotografiere… Wie Bitte? Was nun folgt werde ich bestimmt nie vergessen, denn die Szene ist unglaublich. Puchalsky legt sich im Sanitätsraum mit freiem Oberkörper auf die Trage und Sanitäter Stephen spritzt im irgendeine Spritze voll Betäubungsmittel in den Rücken. Im Hintergrund dudelt lautstark Countrymusic und immer wieder kommt irgendein Soldat rein um sich das Schauspiel mit einer Mischung aus Faszination und Ekel anzusehen. Stephen zückt ein Skalpell, macht mehrere Schnitte und holt noch längerem Gestochere eine dicke Zyste aus dem Rücken von Puchalsky. Was die Szene fast komisch wirken lässt ist die Tatsache dass der Sani mit sterilen Handschuhen in einem total verstaubten Sanitätszimmer arbeitet. Besonders seriös sieht Stephen auch nicht aus – die Arme von oben bis unten tätowiert und eigentlich erinnert das ganze eher an eine Szene aus einem Splattermovie.
Die Wunde wird fachmännisch vernäht und Puchalsky kann wieder aufstehen. Auf die Frage warum er das hier machen lassen die lakonische Antwort. Zuhause beim Arzt muss man ewig warten. Und wofür Bitteschön die Fotos? Ah ja – für die Ehefrau, der will er damit einen gehörigen Schrecken einjagen. Kann ich bestätigen – das klappt hundertprozentig!