Kleine Wunden

Der Tag fängt heute ziemlich früh an. 7.30 Uhr ist das Briefing auf dem Hauptsatz des COPs auf dem die Fahrzeuge stehen. Und wie das so ist wenn man spät ins Bett gekommen ist … Eine Flasche Wasser ueber den Kopf und die Zahnbürste in den Mund gesteckt, schnell noch zwei gekochte Eier in den Mund hinterher: abfahrtbereit.

Zerschossen, beschmiert und geschlossen! Die Maedchenschule in Sar Howsa

Wir fahren in die Stadt Sar Howsa raus in der es eine Mädchenschule gibt, die von den US-Streitkraeften aufgebaut worden ist aber leider durch permanente Attacken der Taliban geschlossen wurde. Die Dorfbewohner – man sagt sie würden mit den Taliban sympathisieren – haben entweder nicht die Mittel oder den Wunsch, diese Schule weiter zu betreiben.

Sergeant Puchalsky, in dessen Truck ich mitfahre, orakelt schon bei der Abfahrt: “Irgendwas geht heute schief – ich hab’ da so ein Gefühl … ” Warum kann er nicht begründen, aber die Erfahrung von zwei Jahren Irak und einem Jahr Afghanistan hat ihn gelehrt. seinem Bauchgefühl zu vertrauen.

Wir fahren mit den schwer gepanzerten Fahrzeugen durch in das Dorf, an dessen Eingang ein Friedhof mit hunderten von Gräbern liegt. Langsam tasten sich die Fahrzeuge vor – auf dem Friedhof liegt angeblich eine IED (Improvised Explosive Devise), trotzdem laufen Menschen über den Friedhof. Entweder wissen sie nichts davon oder aber es ist nur eine Geschichte.

Wir sitzen einige hundert Meter vor der Schule ab, die an einem schroffen, steil aufragendem Berghang liegt und gehen im Gänsemarsch langsam auf die Schule zu. Dieser Berg ist “Enemy Line” hier regieren die Aufständischen. Wir werden mit Sicherheit beobachtet – das hat die Aufklärung schon gesagt, also sichern mehrere Soldaten unten während 6 weitere Soldaten zusammen mit einem afghanischen Polizisten sich aufmachen den Berg hochzusteigen. Das muss sein, denn wenn sie den Berg nicht sichern kann es sein, dass wir während wir uns die verlassenen Schulräume anschauen von oben beschossen werden – das passt so gar nicht in den Plan. Also warten – weiter oben auf dem Berg findet der Trupp eine Höhle und eine mit Steinen befestigte Feuerstellung der Aufständischen, aber ausser ein paar Patronenhülsen und Essensresten ist nichts zu sehen.

Die 6 bleiben auf dem Berg, fragen mich über Funk ob ich hochkommen will oder lieber die Schule anschauen möchte. Ich entscheide mich für die Schule – und bin wieder einmal erschrocken. Die Wände von Gewehrsalven durchsiebt und das für hiesige Verhältnisse moderne und funktionale Gebäude ist insbesondere in den Innenräumen über und über mit Graffitis beschmiert. Der Übersetzer findet antiamerikanische Sprüche – was ich aber schlimmer finde sind die Gewaltbildchen, die scheinbar von den Kindern an die Wand gemalt worden sind. Pistolen, Granaten, Monster und Panzer … Irgendwie illustrieren diese simplen Bildchen mehr, als alle Berichte, Erzählungen und Fotos es könnten. Hier herrscht einfach die pure Gewalt. Und Unterricht wird es hier auf absehbare Zeit wohl nicht mehr geben …

Der Rückweg zu Fuss führt uns um das Dorf herum und da zwei Männer afghanischer Herkunft allzu offensichtlich an einer Hausecke rumdrucksen und zwischen ihnen und uns nur freies Gelände ist fangen wir an zu laufen. Mit dem ganzen umhängenden Geraffel nicht so einfach, in hier herrschenden 2900m Höhe erst recht nicht. Egal, da muss ich durch. Neben mir keucht Leutnant Wood, hinter mir Sergeant Espinoza und vor mir sprintet in einer Geschwindigkeit die bei dem mitzuschleppenden Gewicht beinahe olympisch zu nennen ist Puchalsky. Nach 500m erreichen wir das Ende der Strasse und dann passiert es natürlich mir: Irgendwas was an mir rumbaumelt verheddert sich und ich falle der Länge nach auf die Strasse, rechts und links schlittern meine Kameras durch den Dreck und irgendwas an meinem linken Ellenbogen brennt ganz heftig. Der sich durch den Krach und mein Fluchen umdrehende Puchalsky fällt rücklings und bleibt wie ein Käfer liegen und nur Zehntelsekunden später überholen Wood und Espinoza Puchalsky und mich, ziehen uns an unseren Westen hinter eine Mauer und winken den Truck rückwärts ran.

Einsteigen, Türen “Combat Locked”, abfahren, Klamottenkontrolle. Allen geht es gut – die Kameras sehen gruselig aus, funktionieren aber einwandfrei … Puchalsky ist nur komplett dreckig, bei mir ist es Hauptsächlich Dreck und ein blutig aufgeschlagener Ellenbogen – nichts Schlimmes also. Dass ich danach erstes Ziel des Spotts bin (erster Kriegsverletzter der Kompanie etc.) – man kann es verstehen. Ich werde, wieder im COP, zum Sani geschleppt, der ziemlich viel Spass dabei hat die Wunde zu säubern, Puchalsky schüttet irgendwelche Energiedrinks in mich rein und wir rauchen mitten im Behandlungszimmer eine Zigarette nach der anderen.

Kneifen gilt aber nicht – dick verpflastert verlasse ich das Sani-Zimmer und es geht wieder raus. Diesmal in Richtung südliche Berghänge wo wir uns relativ entspannt ansehen, wie Mörsergranaten die Hügel auffräsen. Irgendwann ist auch das dann langweilig und es geht wieder zurück in den COP. Ab jetzt mache ich gar nichts mehr – nicht das Puchalsky mit seinem Bauchgefühl noch Recht behält.

Morgen geht’s weiter …jetzt erst mal waschen – ok Flache Wasser über den Kopf reicht auch …

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