Die letzte Mission, der letzte Tag im COP Sar Howsa und es soll der Spektakulärste werden. Wir sollen heute Mullah Tuti treffen. Einer der sieben Mujaheddin-Führer aus dem Sowjetisch-Afghanischen Krieg. Einer der ganz grossen Kaempfer, der in den 80ern zusammen mit dem legendären Mullah Omar bei einem Staatsbesuch in Washington vom damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan empfangen wurde. Tutis Wort hat in Afghanistan immer noch viel Gewicht – selbst für die Taliban ist er unantastbar. Sein Wort wird gehört – oder wie Dyfed so treffend formuliert: ” Das ist einer von der Sorte: Wenn der Kuchen spricht dann schweigen die Krümel”
Es geht mit einem Konvoi aus acht Fahrzeugen in ein Gebiet in der südlichen Paktika-Provinz. Der letzte Versuch den Mullah zu sprechen scheiterte – da der Konvoi mit Raketen angegriffen wurde. Na super – und wir versuchen es jetzt also noch mal und fahren in eine Gebiet in dem selbst die Amerikaner noch nie waren. Das Bauchgrummeln wird im Laufe der Fahrt immer stärker – wenn man die Berghänge links und rechts der Strasse sieht. Also wenn ich Taliban wäre …
Die staubige Strasse entlang nach Süden kennen wir, noch von unser Mission in die Feuerstellungen. Diesmal aber soll es deutlich weiter gehen – unbekanntes Terrain. Wir fahren in ein Gebiet ein in dem es langsam grüner wird. Bäume tauchen entlang der Berghänge auf und wir erreichen eine Siedlung, die sogar bewässerte Felder hat.
Leider versagt die Navigation und wir landen an der falschen Seite des Berghangs – die Fahrzeuge müssen wenden und so machen sich die Hälfte Soldaten zu Fuss auf das in Sichtweite liegende Gelände auf dem das Haus von Mullah Tuti sein soll zu erreichen. Die andere Hälfte des Konvois umfährt den Berg, bleibt aber dann in einer schlammigen Zufahrtsstrasse hängen. Jetzt sind wir deutlich weiter von der Siedlung entfernt als die andere Hälfte des Konvois – trotzdem machen wir uns zu Fuss auf und erreichen nach einem 3 Kilometern langen Marsch durch die Felder auch die Siedlung an der Captain Perkins, Dyfed und eine Hälfte des Platoons schon wartet.
Mullah Tuti begrüsst alle herzlich und hat vor dem Captain etwas zu zeigen. Was jetzt passiert widerspricht allen Sicherheitsvorkehrungen der US-Army und auch unseren eigenen Vorsätzen.
Wir werden von Taliban beobachtet, die, das wissen wir, mehrere Posten auf den Hügelketten haben und zu jedem Zeitpunkt wissen wo wir sind. Mullah Tuti, Perkins, Dyfed, zwei weitere hochrangige Afghanen ein Fahrer, ein Mannschaftsdienstgrad der US-Army, zwei Übersetzer und ein Polizist der Afghanischen Polizei sitzen auf einem Pickup-Truck auf und (die meisten davon u.a. Dyfed und ich auf der Ladefläche) und es geht mit hoher Geschwindigkeit über einen schmalen Pass tief hinein in die Berge. Das ganze Platoon Soldaten bleibt verduzt zurück.
Ab jetzt sind wir ein absolut leichtes Ziel für einen eventuellen Taliban-Angriff. Es sind nur zwei Bewaffnete dabei und wir fahren direkt in das Operationsgebiet der Taliban. Ich frage Dyfed während der Fahrt ob das nicht gerade unglaublich dämlich ist was wir da machen, und bekomme als Antwort, dass er sich auch etwas komisch fühlt.
Egal jetzt – es gibt kein zurück. Wir erreichen nach 15 minütiger Fahrt einen Staudamm an dem Mullah Tuti (dieser Mann hat eine echte Aura) erklärt wie wichtig das Wasser für die Gegend sei und dass dieser der Grund für die fruchtbare Erde sei, die wir weiter unten gesehen haben. Wir stehen auf dem Damm wie die perfekten Zielscheiben und ich schaue mich permanent um, als mir einer der Afghanen etwas zuraunt was der Übersetzer wie folgt mitteilt: Du brauchst keine Angst zu haben, Du bist Gast von Mullah Tuti – kein Taliban dieser Welt wird es wagen, dir hier ein Haar zu krümmen.
Na das ist ja schon mal beruhigend – noch beruhigender indes ist, dass wir nach 20 Minuten wieder die Rückfahrt antreten und – auf der Ladefläche des Pickup – die US-Soldaten wieder erreichen. Leutnant Wood der mir entgegenkommt ist meiner Einschätzung nach zwischen der Überlegung seinem Chef heftig die Meinung zu geigen oder vielleicht lieber erst mir die Gurgel umzudrehen. Perkins – sein Vorgesetzter – zuckt nur die Schulter, sagt es sei halt nicht ganz nach Plan gelaufen, aber es wäre doch alles gut gegangen, zieht mich aus der Reichweite von Wood und wir alle zerstreuen uns unter die Siedlungsbewohner, die uns ebenfalls entgegenkommen.
Damit ist es aber noch nicht vorbei – es gibt Tee in der Moschee. Klasse Sache – da ist der Wood wenigstens beruhigt. Also rein ins Haus – Schuhe aus. Das gehört hier dazu. Schussichere Weste braucht man auch nicht, Perkins darf sein Gewehr und ich die Kameras natürlich mitnehmen – fotografieren ist nicht wirklich ok, ein-zwei mal aber geduldet. Komische Sitten – keine Schuhe, aber Kanonen.
Wir betreten einen mit Teppichen ausgelegten grossen Raum in den sich Perkins, Wood, Mullah Tuti, ein Übersetzer und bestimmt 20 weiter Afghanen zum Tee niederlassen. Und jetzt kommt Dyfeds grosse Stunde – wie Peter Scholl Latour in seinen besten Zeiten fängt er aus dem Nichts heraus ein Interview mit dem Mullah an – und dieser beantwortet alle seine Fragen ausgiebig und gespickt mit kleinen Anekdoten und allerhand Hintergrundgeschichten. Selbst Perkins – der normalerweise immer der Gesprächsführer ist, ist beeindruckt.
Die gesamte Atmosphäre ist faszinierend und getoppt wird das ganze dann als Mullah Tuti uns zu einem ausgiebigen Essen und Übernachtung einlädt – das kann Perkins leider nicht annehmen. Schade … Aber er verspricht aber wiederzukommen und das ganz sicher zu tun. Dann sind Dyfed und ich aber leider schon weg …