Ein junges Maedchen traegt in der Afghanischen Paktika-Provinz Geschirr auf dem Kopf.
Muss man sich, wenn man in ein Kriegsgebiet fährt, mit Religion auseinandersetzten? Nicht zwangsläufig, aber für die Region am Hindukusch ist der Islam ein Thema, welches zwangsläufig in allen möglichen Zusammenhängen auftaucht und so auch meine Arbeit und meinen Aufenthalt dort geprägt hat und weiter prägen wird. Die Bevölkerung Afghanistans gehört zu großen Teilen (weit über 90 Prozent) der Religion des Islam an. Und wenn man unter anderem von einem „Glaubenskrieg“ sprechen darf, dann hier.
Meine erste Begenung mit dem Islam liegt Jahrzehnte zurück. Viele Besuche von Ländern wie Ägypten, Saudi-Arabien, Katar, Tunesien und nicht zuletzt Afghanistan haben mir ein kleines subjektives Bild darüber verschafft, wie die Religion und der Glaube hier gelebt werden.
Schwierig wird es immer dann, wenn Werte der „westlichen“ Kultur, Verhaltensweisen, Riten und der Alltag stark mit dem eigenen Leben differieren. Letztlich ist es so, dass ich der Meinung bin, dass jeder Mensch ein verbrieftes Recht darauf hat, so zu leben, wie er sich das selber wünscht. Kleine Einschränkung: Er muss dabei das Leben und die Wünsche anderer genau so respektieren. Ein sogenanntes friedliches Miteinander – aber ist das nicht eine Illusion? Ein Wunschdenken von Träumern?
Manchmal sieht es so aus – ja! Ich lasse jedem Menschen seine Religion und seine Kultur, muss mich dadurch aber trotzdem nicht mit allem einverstanden erklären, was innerhalb dieser Religion und Kultur passiert.
Ein Thema, welches zumindest mir immer wieder aufstösst, ist die Gleichberechtigung! Natürlich sind auch westliche und Industrienationen weit davon entfernt, Männer und Frauen absolut gleich zu behandeln, was ich aber in vornehmlich islamischen Ländern sehe; wirft bei mir oft die Frage auf: Kann eine Religion über der Freiheit eines Menschen stehen? Denn scheinbar tut sie das.
Darf man das überhaupt thematisieren, oder muss man das einfach akzeptieren? In Saudi-Arabien ist es Frauen nicht erlaubt; Auto zu fahren – lassen wir mal den alten Witz weg, dass sie das sowieso nicht können – aber ist das legitim? Ist eine Kultur, die ihre Frauen komplett verhüllt, ihnen Schulbildung verweigert, die freie Auswahl des Lebenspartners versagt, ihnen sogar die Geschlechtsorgane verstümmelt und sie in fast jeder Beziehung als zweitklassig behandelt für mich akzeptabel? Nein, das ist sie nicht!
Fernab von müßigen Diskussion über ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen (das soll doch bitte jeder halten wie er will – ich hab auch manchmal Mützen auf, die scheiße aussehen) fragt man sich, wie weit darf Toleranz gehen? Ab wann sollte man sich einmischen? Ist das wirklich nur die Arroganz des Westens, solche Lebensmodelle zu kritisieren?
Ich denke nein! Und die ganzen oben beschriebenen Formen der Diskriminierung -stehen die wirklich alle im Koran? Ich habe ihn nicht gelesen, aber ich weiß, welche Verbrechen in der Christenheit auch mit der Bibel gerechtfertigt worden sind. Von daher kann ich mir schon vorstellen, dass es andersrum ähnlich gelagert ist.
Für mich – und auch das soll keine westliche Arroganz sein – ist der Umgang mit Frauen in Teilen der islamischen Welt nichts anderes als pure Steinzeit. Was sind das für Kulturen, die ihren Frauen das Recht auf Selbstbestimmung so vollständig verweigern? Welche Angst ist das, die die Männern dieser Kulturen dazu bringt, ihren Frauen und Töchtern jegliche Zugeständnisse zu einem selbstbestimmten Leben wegzunehmen?
Und wo sollte man tolerant sein und wo hört Toleranz auf? Da läuft eine vollverschleierte Frau durch ein afghanisches Dorf, und man erkennt nur daran, dass es eine Frau ist, dass sie eben überhaupt nicht zu erkennen ist. Schaut man selbst dieses vollständig unkenntlich gemachte Wesen nur kurz an, kann es sein, dass man damit eine Welle der Empörung auslöst. Ok, ich bin natürlich nicht so verrückt, das in einem afghanischen Provinzstädtchen zu tun – ich möchte ja schließlich keinen Aufstand dadurch auslösen, in dem ich einem laufenden Leinengewand hinterherstarre – trotzdem finde ich die Situation deswegen nicht weniger absurd.
Oder sollte ich das trotzdem tun und der Dorfbevölkerung (im Zweifelsfall durch einen Dolmetscher) mitteilen, dass ich ihre Kultur vollständig daneben finde? Eine genau so absurde Idee!
Das ganze kann man dann auch in etwas größerem Stile denken: Würde unsere Bundeskanzlerin bei einem Besuch des afghanischen Staatspräsidenten diesem wohl sagen, dass sie als Frau den Umgang mit den Frauen in diesem Land als total daneben empfindet? Das würde dann mit Sicherheit eine mittlere politische Krise auslösen. Aber zeigt nicht auch der Umgang mit den Frauen in einer Kultur, was von ihr zu halten ist? Und – darf man das ändern wollen? Sollte man das tun, sollte man sich da heraus halten? Das fängt im Kleinen an! Sage ich demnächst einem Afghanen in einem Gespräch (Gespräche kommen dort häufig zustande), wie absolut bescheuert ich den Umgang mit Frauen in seinem Land finde mit dem Risiko, dadurch mehr Probleme zu schaffen als zu lösen, oder halte ich einfach den Mund?
Wo also findet Annäherung statt? Wo gibt es Lösungen für die Annäherung von Kulturen? Denn an den alten Spruch, dass die meisten Frauen ihre Rolle in einem der genannten Länder gerne akzeptieren, glaube ich nicht. Ist es da nicht dann sogar die Aufgabe einer Religion wie dem Islam, hier für Gleichheit und Gleichbehandlung zu sorgen?
Und wenn ich dann in ein paar Wochen wieder vor Ort bin, dann wird es wieder da sein dieses Unverständnis, dass gelebte Steinzeit offensichtlich toleriert wird. Ich finde es abscheulich, und eigentlich finde ich es sogar ebenso abscheulich, dass ich mich ja eigentlich genau so verhalte … ich sehe einfach weg.