Zuhause – letzter Eintrag

Mit Specialist Jacob Kohrs, Fotograf der 172. Infantry Brigade, in den Bergen Afghanistans nahe der Stadt Shatowri. Foto: John Dyfed Loesche

Es ist geschafft – ich bin wieder zuhause. Nach 24 Stunden Reise von Kabul bis Hamburg ist es schon etwas besonderes, jetzt mit einem frischen Kaffee am Tisch zu sitzen und noch einmal (zum letzten Mal) einen Blog-Eintrag zu schreiben.

Ich werde bestimmt noch einige Zeit brauchen um die Wochen in Afghanistan für mich zu verarbeiten. Einstweilen möchte ich erst mal allen Denjeniegen danke, die diesen Blog in den letzten Wochen mitverfolgt und gelesen haben. Ich danke für die Kommentare und vielen Mails – scheinbar ist die Thematik nicht ganz uninteressant gewesen (trotz vieler Rechtschreibfehler etc.)

So manches mal habe ich irgendwann nachts, wenn ich für diesen Blog etwas geschrieben habe kurz überlegt, mich vielleicht doch lieber ins Bett zu legen, auszuruhen und die Schreiberei zu lassen. Letztendlich habe ich mich aber immer wieder dazu durchgerungen, dieses Projekt weiter durchzuziehen – neben aller Arbeit hat es auch immer wieder Spass gemacht und es war auch für mich immer wieder eine gute Aufarbeitung der jeweiligen Tagesgeschehnisse. Etwas was einem im Nachhinein die erlebten Dinge noch bewusster werden lässt. Ausserdem war die Herausforderung für mich als Fotograf Dinge nicht nur zu visualisieren sondern auch zu beschreiben ziemlich reizvoll. Ob das gelungen ist, mögen andere beurteilen.

Ich werde jetzt erst mal wieder den Luxus des Alltäglichen geniessen – d.h. in einem richtigen Bett schlafen, auf ein richtiges Klo gehen, richtigen Kaffee trinken, richtige Brötchen essen. Es ist schön nicht mehr jeden Morgen erst mal den Staub aus den Lungen zu husten, den Müll einfach in den Abfalleimer zu stecken und nicht danach den Qualm der Müllverbrennung einatmen zu müssen. Das Bewegen auf Meereshöhe ist ebenfalls deutlcih leichter als auf den Bergen Afghanistans.

Unterm Strich waren das alles extreme Erfahrungen von denen ich aber froh bin, sie alle gemacht haben zu können. Der Dank gilt hierbei noch einmal und besonders den Soldaten der Apache 2-28 Kompanie, ohne die das alles nicht möglich gewesen wäre und die mich – das sei auch noch einmal gesagt – beruflich und menschlich tief beeindruckt haben. All denen die dort draussen im COP Sar Howsa stationiert sind gilt mein grosser Respekt für ihren schweren Aufgaben und mein Dank von Ihnen vorurteilsfrei und freundlich aufgenommen worden zu sein.

Ob ich noch mal zur 2-28 rausfahren kann, weiss ich nicht aber wenn ich einen grossen Wunsch freihabe, wünsche ich mir dass die ganze Kompanie genau so gesund und unverletzt im Juli nächsten Jahres wieder nach Hause kann, wie ich das jetzt konnte.

Das hier ist der vorletzte Blog-Eintrag , das Projekt ist hiermit abgeschlossen. Bestimmt habe ich viele Erzählenswerte Dinge nicht erzählt, bestimmt Berichtenswertes nicht berichtet und viele Bilder nicht gezeigt (das werde ich in einem letzten Eintrag dann noch nachholen).

Sollte ich in Zukunft wieder ein ähnlcih grosse Projekt angehen, werde ich das auch hoffentlich wieder in dieser oder ähnlicher Art angehen.

Derzeit schwebt mir vor einen etwas alltäglicheren Blog anzugehen – einen über die fotografische Arbeit und das Leben in Hamburg (diese ganze “Die schönste Stadt der Welt Geschichte” geht mir hier oft ganz schön auf die Nerven und ich würde gerne meinen persönlichen Blickwinkel dazu aufschreiben). Nicht in der Frequenz wie bei diesem Blog – einfach immer wieder mal, dafür vielleicht ein bisschen böser und gemeiner ;-)

Es bleibt aber so wie es auch hier schon war – immer persönlich und alles Geschriebene stellt auch nur meine Meinung und meine Erfahrungen dar.

Danke und alles Gute!

Axel

 

Kollateralschäden

Das Einsatzgebiet auf einer Landkarte. Vielleicht ahnt man wie hoch die Berge sind, was man jedoch nicht ahnt: Alles bräunliche das hier zu sehen ist ist weitestgehend Staub. Grosse Teile davon sind jetzt in meinem Gepäck.Übrigens schreibt man Sar Howza im Deutschen dann Sar Howsa (sagt Dyfed)

Es geht also nach Hause. Ein letzter Chill-Out-Tag im ISAF-Stützpunkt in Kabul, den ich nutze um ein bisschen Ordnung in meine Technik, Dateien, Klamotten und Gedanken zu bringen. Der Tag beginnt früh – wir sind in grösseren Zelten untergebracht, in denen Soldaten aller Herren Länder ebenfalls für ein oder zwei Nächte schlafen. Es sind diejenigen, die auch auf Transfer zu ihrem Einsatzort oder zurück nach Hause sind. Einer von denen packt schon um 5 Uhr lautstark sein Gepäck und macht sich bei voller Beleuchtung reisefrisch – super …

An Schlaf ist danach nicht mehr zu denken und so schlendere ich zum Flugterminal, an dem es schon sehr früh Kaffee gibt. Einen ziemlich Guten sogar. Zwei deutsche Soldaten warten hier ebenfalls mit einem Kaffee auf ihren Abflug und es entwickelt sich sofort ein Gespräch über Erlebtes, Afghanistan an sich und die Vorzüge der Heimat. Es ist ungewohnt mal wieder mit jemand anderem als Dyfed Deutsch zu sprechen (abgesehen von den permanenten Versuchen der US-Soldaten die ich in den letzten Wochen an verschiedensten Orten getroffen habe, die oft versucht haben zumindest ein bisschen in meiner Muttersprache zu kommunizieren)

Danach folgt ein eingehender Technikcheck. Das Kameraequipment sieht grausam aus – staubig, die Einstellringe der Objektive knarzen vor Dreck und es gibt keinen Schalter an den Nikon Kameras, der nicht irgendwie schwergängig ist oder knirscht. das ganze Zeug muss unbedingt in den Service (ich hoffe da mal auf Nikon Deutschland, dass sie das alles wieder hinkriegen – BITTE!).

Die D3s-Kameras waren mit einem sogenannten Camera-Armor, einer Gummihülle, die stärkere Stösse abfängt versehen und darunter sogar noch mit Tape-Band abgeklebt, immun gegen Dreck macht sie das nicht , aber sie funktionieren noch. Die Objektive konnte man schlechter schützen, dementsprechend sehen sie jetzt aus. Die mitgenommene X100 von Fuji ist quasi unbenutzt (Fabian kann aufatmen), ich habe sie eigentlich nie eingesetzt und zwar aus einem spezifischen Grund: Die Einschaltzeit war schrecklich – immer dann wenn ich sie eigeschaltet habe und sie endlich auslösebereit war, war die Situation in der ich das Foto hätte machen können schon vorbei. Eine tolle Kamera – für den Hobbygebrauch, aber meiner Meinung nach aufgrund der dämlichen Menüstruktur, dem dusseligen OK-Knopf, den man immer fünfmal drücken muss bevor er reagiert (wenn man nicht genau mittig drückt poppt immer irgendein Menü auf, dass man nicht braucht, dass man auch nur wieder verlassen kann wenn man wieder OK drückt und dann wieder genau treffen muss) und der Zeit die sie selbst eingeschaltet braucht um wieder aus dem Standbymodus aufzuwachen ist für Situationen in denen es schnell gehen muss nicht zu gebrauchen. Das der AF der X100 insbesondere bei Dämmerung eher einem Lotteriespiel gleicht … na gut, dass war vorher klar … Da habe ich lieber die schweren D3s geschleppt – die waren schnell, zuverlässig mit punktgenauem AF auch bei schlechtem Licht und wenn man einen Knopf drückt passiert auch das was passieren soll.

Die von mir zum Videodreh mitgenommene (und von Nikon netterweise zur Verfügung gestellte) D7000 ist nur selten zum Einsatz gekommen. Erstens war das Vorhaben Videos zu drehen schwierig. Ein drittes Gehäuse auf fast 3000m Höhe noch mitzuschleppen war unrealistisch, dann haben mich die Situationen in denen ich mich oft befunden habe schon fotografisch manches mal überfordert (zu viele Eindrücke zu schnell auf einmal) und ich habe extreme Scharfstellprobleme in denen durch Staub oft schon diesigen Lichtsituationen gehabt). Mein Fazit daher – man hätte da sicher tolles Material drehen können, wenn man das Fotografieren sein gelassen hätte. Beides gleichzeitig? Zumindest für mich unmöglich – zumal der Sicherheitsaspekt (schnell auf den Boden, schnell in das Fahrzeug, schnell in Deckung etc. das Ganze auch noch zusätzlich erschwert) – also: Entweder oder. Ich habe mich für Entweder (das Fotografieren) entschieden.

Wie ich Morris erklären soll, dass der Thing-Tank-Rucksack aussieht wie er aussieht weiss ich noch nicht so genau. Er war mal schwarz, jetzt ist er eher gelbgrau und wenn man an einem Reissverschluss zieht wabert eine Staubwolke durch das Zimmer – auweia. Ob ich den jemals wieder sauber bekomme.

Die Idee ein 15” MacBook-Pro mitzunehmen war auch total idiotisch – viel zu schwer! Aber wenn das Geld fehlt um sich ein kleines MacBook-Air zu kaufen bzw. sich noch nicht einmal das gebrauchte Netbook von Morris anzuschaffen bleiben allerdings wenig Alternativen.

Alles andere knirscht. Die Tastatur des Laptops, die CF-Karten im Reader, die Netzgeräte in den Steckdosen, alles was man an USB-Ports anschliessen kann …

Das ganz Zeug hat heftig gelitten, wirklich ausgefallen ist aber nichts. Man kann diesen Staub, der in jede Ritze kriecht auch nicht wirklich abhalten – wie man ihn Zuhause aber wieder aus den Ritzen rausbekommt? Keine Ahnung!

Resümee – bis jetzt ist nichts wirklich kaputt (ausser der VR des 70-200 und dessen Gegenlichtblende), aber der Wertverlust des Equipments dürfte immens sein.

Zwei Hosen hat es zerissen, drei T-Shirts – die Felsen und Steine der Provinz-Paktika sind doch ziemlich scharf. Eine Taschenlampe ist kaputt, ein CF-Reader hinüber … und wenn ich zuhause alles in Ruhe auspacke werde ich sicher noch die eine oder andere Überraschung erleben.

Chaos in Paktika

Polizisten der AUP (Afghan Uniformed Police) in Sar Howsa in der Provinz Paktika

Nachfolgend versuche ich, ein paar Fakten, Zahlen, Fragen und allgemeine Zusammenhänge über die Paktika-Provinz und deren Menschen aufzuschreiben. Alles Dinge, die mir im Laufe der letzten 3 Wochen über den Weg gelaufen sind, Fragen die ich selbst gestellt, oder auch nicht gestellt habe – einfach ein kleines bisschen Wissen, dass vielleicht hilft diesen Teil der Welt ein bisschen mehr zu verstehen. Natürlich ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Es sind alles Sachen, die ich vorher nicht wusste und von denen ich persönlich glaube, dass es ganz gut ist sie zu wissen, wenn man sich mit dieser Region Afghanistans beschäftigt.

Paktika ist eine der südöstlichen Provinzen Afghanistans. Etwa 19.500 Quadratkilometer gross mit einer Bevölkerung von über 800.000 Menschen (offizielle Schätzung), auf einer Meereshöhe von 1500 – 4500 Metern. Grösstenteils ist hier die Volksgruppe der Paschtunen heimisch (eine kleine Minderheit sind Tajiken – also ist die Sprache zur Verständigung Paschtu und nicht Dari wie es zum Beispiel in der Region um Kabul im Norden gesprochen wird – beide Sprachen haben nichts miteiander zu tun). Ein Paschtu-Sprechender kann kein Dari verstehen und umgekehrt. Paktika ist aufgeteilt in 19 Distrikte (wir waren im Distrikt Sar Howza) sagt die Zentralregierung in Kabul, die Regierung der Provinz Paktika sagt es sind 23 Provinzen – was die Administration z.B. bei der Verteilung von Geldern für Schulen etc. ungemein erschwert. Beide beharren auf ihrem Standpunkt. Die beiden grössten Städte sind Sharana, die Hauptstadt der Provinz (55.000 Einwohner) und Orgun (90.000 Einwohner)

Entscheidungen oder Beschlüsse in der Provinz fassen in Afghanistan traditionell die Stammesältesten der Stämme der Paschtunen ( es gibt derer 5) – jeder Einwohner ist zuerst seinem Stamm verpflichtet alle anderen Institutionen sind zweitrangig oder werden komplett ignoriert. Niemand fühlt sich der Zentralregierung in Kabul verpflichtet. Geht es nach den Einwohnern, würde jeder Stamm ein eignes Autonomiegebiet bekommen. Das Prinzip einer Staatsform nach westlichem Masstab, als eine Zentralregierung und Demokratie stossen hier höchstens auf Unverständnis. Die Stämme sind allerdings teilweise auch untereinander verfeindet.

Die Paschtunen gelten als sehr konservativ, streng religiös und sind gebunden an die vier Grundregeln des “paschtunwali”, des paschtunischen Ehrenkodex:

Ehre: Alle Paschtunen sind gezwungen, die Ehre ihrer Familie und des Stammes zu mehren und zu verteidigen. Ein Verstoss dagegen kann die Rache (den vierten Kodex nach sich ziehen). Die grössten Streiteren haben Frauen, Land und Geld als Ursache (da hingegen sind sie sehr westlich). Ein Paschtune muss diese drei Dinge mit Leben und Ehre verteidigen.

Gastfreundschaft: Paschtunen sind bekannt für ihre grosse Gastfreundschaft. und behandeln ihre Gäste mit Ehre und Respekt. Viele Dörfer und grosse Familien haben eigene Gästehäuser. Auch bei niedrigem Einkommen oder limitierten Ressourcen wird jeder Fremde immer willkommen geheissen, es wird ihm zu Essen gegeben und er bekommt einen Schlafplatz. Das gilt auch für Nicht-Paschtunen.

Vergebung: Hat ein Paschtune ein Unrecht oder ein Verbrechen begangen ist es ihm erlaubt dieses selbst Anzuzeigen und um Vergebung zu bitten. Es werden Geschenke gemacht, die die die Vergangenheit vergessen machen sollen. Demjenigen dem der Schaden zugefügt worden ist entscheidet ob er das Angebot annimmt. Häufig wir eine solche Lösung von Frauen arrangiert – die Frauen gelten bei den Paschtunen als Friedensstifter.

Rache: Paschtunen können für ein erlittenes Unrecht Rache nehmen indem das gleiche Unrecht an dem begangen wird, der es zuvor verübt hat. Dabei kann das Unrecht durchaus Jahrzehnte in der Vergangenheit liegen. Es existiert also auch die Blutrache als legitime Form. Tötet z.B. ein Paschtune den Bruder eines anderen Paschtunen, darf dieser unbekehrt auch den Bruder des Täters töten.

Nicht nur in Paktika sondern in ganz Afghanistan gibt es drei verschiedene Sicherheitskräfte.

1 – die AUP (Afghan Uniformed Police) – gilt als korrupt und ist bei der Bevölkerung nicht akzeptiert. Ein Monatslohn liegt bei etwa 200 Dollar. Um das Gehalt zu verbessern, sich selbst nicht in Gefahr zu bringen oder die eigene Familie zu schützen sind viele Polizisten auf einem Auge blind für die Aktivitäten der Aufständischen oder von Kriminellen. Der Posten eines Distrikt-Polizeichefs ist mit 100.000 Dollar käuflich.Das Geld dazu wird mit Entführung, Raub und Schmuggel erwirtschaftet.

2- die ANBP (Afghan Border Police) – existiert nur in Provinzen mit Grenzen zu anderen Ländern. Sie ist schlecht ausgestattet und wird von der Zentralregierung quasi ignoriert. Die ANBP gilt ebenfalls als korrupt und mit besten Verbindungen zu Schmugglern. Oftmals ist ein Familienmitglied bei der ANBP während ein anderes Familienmitglied professionellen Grenzschmuggel betreibt und man sich so gegenseitig unterstützen kann.

3 – die ANA (Afghan National Arm) – hat als einzige Sicherheitskraft eine gute Reputation (zumindest in der Provinz Praktika). In ihr hat man erfolgreich Soldaten aller ethnischen Gruppen integriert und sie gilt als dazu in der Lage Angriffe von Aufständischen zu beherrschen. Leider ist die Truppenstärke noch in keiner Weise ausreichend.

Paktika ist die ärmste Provinz des zweitärmsten Landes der Welt (Afghanistan), man kann sich daher die Lebensbedingungen in krassen Farben ausmalen. Nur 25% der Bevölkerung hat sauberes Trinkwasser,  66% der Menschen leben von der Landwirtschaft, insgesamt 84% der Menschen haben mehrmals im Jahr nicht genug zu essen, 42% gelten als unterernährt.

Nur 1% der Bevölkerung Paktikas hat Zugriff auf Strom, bis auf die Städte Sharana und Organ gibt es kein Handynetz, aber fast alle Familien haben Zugriff auf ein Handy was sich oft untereinander geliehen wird um von einem Ort mit Empfang aus zu telefonieren.  In den Abendstunden wird das Netz vollständig abgeschaltet, da die Taliban befürchten, dass die internationelane Streitkräfte über das Netz die Standorte der Kämpfer ausfindig machen können – die Telekommunikationsfirmen wurden entsprechend bedroht und beugen sich dem Druck!

Bis 2006 gab es in der gesamten Provinz nicht eine einzige asphaltierte Strasse.Die US-Armee hat 2008 die erste Asphaltierte Strasse zwischen Sharana und Orgun fertiggstellt.

Die Hauptinformationsquelle in Paktika ist das Radio – die meisten Haushalte haben Zugriff auf eins. Es gibt mehrere lokale Sender, aufgrund von fehlendem Strom gibt es fast keine Fernseher, Zeitungen oder andere Printmedien gibt es nicht, da die Analphabeten-Rate bei knapp 90% liegt.

Eine weitere wichtige Informationsquelle sind die Moscheen – deren Mullahs gelten bei der Bevölkerung als glaubwürdig. Sowohl die Taliban als auch die Coalition Forces versuchen mit einer Einflussnahme auf die Mullahs Stimmung für sich zu achen.

Als letztes – ohne langweilig werden zu wollen – die ganz grosse Frage: Wer oder was sind die Taliban? Wie schlüsselt sich das auf? Was hat das mit al Quaida, was mit den Aufständischen zu tun.

Zuerst mal – das sind alles unterschiedliche Gruppen – alle zusammengefasst unter dem Begriff “Insurgents” (Aufständische). Listen wir sie doch einmal:

Das Haqqani-Netzwerk:
Hochaktives Netzwerk, von Pakistan aus operierend. Angeblich kann Haqqani in 90% von Paktika einer Person Sicherheit garantieren. Verantwortlich für viele Anschläge in Kabul. Verbunden mit Al-Quaida und den Taliban. Haqqani kann man aber auch wie ein Franchise Unternehmen für Terrorismus sehen.

Die Mansur-Gruppe:
Ehemaliger Haqqani-Kommandant, befehligt eine selbständige Gruppe in der Gegend Sar Howsa.

Pakistanische Jihad-Gruppen: Befürworter des heiligen Kriegs – von Pakistan aus in der Gegend von Sar Howsa, Sharana und Orgun operierend. Richten ihre Attacken nicht nur gegen Coalition Forces (IED-Anschläge, Raketenangriffe) sondern widmen sich auch der Zerstörung möglichst vieler öffentlicher Einrichtungen und infrastrukturellen Punkten wie Brücken, Strassen etc.

HIG-Gruppe: (Hezb-e.Islami-Gulbuddin):
Zur Zeiten des Sowjet-Krieges gebildete Gruppe mit grossem Machteinfluss in Paktika – sieht sich selbst als Konkurrenz zum Haqqani-Netzwerk, kämpft aber auch gegen alle ausländischen Streitkräfte.

Taliban – gewalttätige Aktivisten die als einziges Ziel die Vertreibung der ausländischen Streitkräfte haben um den Gottesstaat Afghanistan wieder nach der islamischen Scharia aufzubauen. Religiöse Fanatiker – im Gegensatz zu anderen Gruppen nicht an überregionalen Attacken (Terrorismus in anderen Ländern) interessiert – haben sich von al Quaida losgesagt.

al Quaida – Terrororganisation die international operiert und nicht nur Ziele in Afghanistan verfolgt. Logistische Organisation von allen Aufständischen (mit Ausnahme der Taliban). Al Quaida trainiert die Kämpfer der anderen Gruppen, besorgt Material und stellt auch Selbstmordattentäter.

Ganz schön komplex, oder? Und das ist erst die Spitze des Eisberges. Hinzu kommt die Aufsplitterung der o.g. Gruppen und deren interne Interessenkonflikte (bedingt z.B. durch die Stammeszugehörigkeit der Aktivisten, deren Verbindungen zum Drogenanbau und Schmuggel, sowie deren Verbindungen zu regionalen Stammesfürten und Warlords). Selbst nach ganz vielen Erklärungen die ich bekommen habe, habe ich selbst viele Details immer noch nicht verstanden. Ich habe es aber mal soweit als möglich aufgeschrieben umd damit die komplexe und auch frustrierende Situation für alle Menschen in der Provinz Paktika etwas zu verdeutlichen. Hoffentlich ist das zumindest ein bisschen gelungen …

Hotel California

Der Aufnäher auf der Uniform aller Soldaten der Coalition-Forces. Das ISAF-Abzeichen.

Der Rückflug von Sharana ist ein wenig holprig. In einer Militärtransportmaschine im vollständig abdunkelten Frachtraum geht es nach Bagram. Das einzige Licht dass durch die kleinen Fenster der Maschine fällt ist ein paar mal das Zucken von Blitzen. Die Maschine schlingert ganz schön und wir vermuten, dass wir an einer Gewitterfront vorbei fliegen – durch das Gewitter zu fliegen würde ein noch heftigeres auf und ab des Flugzeugs zur Folge haben.

Trotzdem bin ich froh dass es nach nur 45 Minuten schon wieder in den Landeanflug nach Bagram geht. Dort angekommen stellen wir fest, dass der nächste Flug nach Kabul noch nicht terminiert ist – das dauert noch ein paar Stunden, bis der Flugplan raus ist, also gehen wir zuerst in die Grosskantine (in Army-Kreisen DFAC “genannt” – was immer das heisst … vermutlich Dining Facility And Catering – mir schwirrt sowieso der Kopf vor lauter Abkürzungen) und schlendern danach ein wenig durch die Basis von Bagram. Dyfed sagt er hätte bei der Hinreise eine Art Hotel gesehen und wir wollen versuchen es zu finden, damit wir eine evtl. Übernachtung organisieren können, falls kein Flieger mehr nach Kabul geht.

Nach 20-minütigem Fussweg weisst ein Schild auf eine unbeleuchtete Baracke hin – das “Hotel California”. Geiler Name!  Wir drücken einfach mal die Tür auf, stehen in einem beleuchteten provisorischen Büroraum und man empfängt uns mit den Worten: “Ah – die Journalisten aus Deutschland! Wir haben Euch schon erwartet!” Wir halten das natürlich für einen Witz bis wir auf einer Tafel unsere Namen lesen.

Welcme to the Hotel California – you can check out every time you like, but you can never leave … die Eagles haben es gewusst (oder waren schon mal in Bagram)

Das ist beinahe ein bisschen unheimlich, im Nachhinein vermuten wir, dass die US-Streitkraefte unsere Rückreise bereits organisiert haben – denn obwohl es keinen Flugplan gibt versichert man uns, dass morgen früh zwei Plätze in der Maschine nach Kabul für uns reserviert sind. Unglaublich! Gesagt hat uns niemand etwas!

Uns wird ein Zimmer zugewiesen was ein Holzetagenbett und eine Klimaanlage hat, die mit einem Holzschieber den Luftzufluss für die Kaltluft auf- und zuschiebbar macht. Das Zimmer ist zeitlos – eine Baracke mit einem Interieur, dass durchaus aus Weltkriegszeiten stammen könnte. Staubig und muffig. Aber es ist ein Schlafplatz.

Morgens geht es nach einem Kaffee und einem Brownie im lokalen Café direkt zum Terminal und siehe da, es gibt wirklich eine Maschine und zwei Plätze für uns. Eine relativ kleine Propellermaschine befördert uns in nur 30 Minuten in einem atemberaubenden Flug über eine Afghanische Gebirgskette nach Kabul.

Und hier gibt es sogar ein freies WLAN (und ich dachte, dass ich erst zuhause in Deutschland wieder eine Verbindung zum Internet herstellen kann). Uns wird ausdrücklich gesagt, dass wir hier in der ISAF-Basis weder fotografieren noch Interviews machen dürfen – also vertreiben wir uns die Zeit mit herumsitzen, reden, warten und essen. Wir treffen ein paar Bundeswehrsoldaten, von denen wir Kaffee bekommen, schauen uns da Treiben der viele Soldaten aus allerlei Ländern an und müssen zusehen, dass wir den morgigen Tag auch noch rumkriegen.

Übermorgen geht es nach Hause! Ich kann es kaum noch abwarten!

Abschied vom COP

Letzter Blick auf den Turm "Bravo", einen der Wachtürme des COP. Wenn der Stacheldraht und das Militärische nicht wäre, könnte es sogar ein schöner Sonnenuntergang sein!

Die letzte Mission ist überstanden, wir fahren wieder rein in den COP, packen unsere Sachen und werden heute Abend nach Sharana verlegt, von wo aus dann der Heimflug Richtung Bagram startet. Das dauert – vermutlich sind wir noch einen Tag in Bagram und evtl. auch noch zwei Tage in Kabul, von wo aus es dann über Dubai zurück nach Frankfurt wieder auf heimischen Boden geht.

Es ist nicht ganz leicht zu beschreiben, wie ich mich jetzt gerade fühle. Einerseits bin ich froh, dass ich aus dem Kriegsgebiet Afghanistans wieder nach Hause kann – und ich habe ganz viele Neider bei der Apache 2-28, Kompanie, die uns für knapp 3 Wochen beheimatet hat. Nicht nur weil ich dann wieder Deutsches Bier trinken darf, sondern weil ich im Gegensatz zu den Soldaten eben wieder zu Hause bin. Andererseits wäre ich gerne noch geblieben, hätte die grosse Schura im COP, eine abgesessene Patrouille, weitere Städte in der Provinz Paktika gerne noch kennengelernt.

Wir werden von Captain Perkins verabschiedet, sagen allen Anderen auch noch Tschüss und besteigen zum letzten Mal die grossen MRABs um zum Hauptstützpunkt gebracht zu werden. Auf dieser letzten Strecke bekommen wir noch einmal eine Kostprobe von den Gesangskünsten der Soldaten. Die haben relativ erfindungsreich einen iPod an die interne Funkanlage des Militärfahrzeugs angeschlossen und es folgen muntere Karaokegesänge von Kate Perry bis Dirty Dancing.

In Sharana werden wir von Major Buccino in Empfang genommen und gleich werde ich zum ersten Mal nach 3 Wochen wieder in einem richtigen Bett schlafen und eine einigermassen begehbare Dusche betreten.

Es waren intensive Wochen, intensive Erfahrungen teilweise nahe am Grenzbereich des physischen und auch psychischen. Für mich selbst war es wichtig, diese Art der Fotografie gemacht zu haben, viel wichtiger aber der intensive Kontakt mit den Menschen da draussen. Es klingt klischeehaft, aber es verbindet einen schon mehr mit jemanden, von dem man weiss, dass das eigene Leben vom Verhalten und der Aufmerksamkeit des Gegenübers abhängig ist. Bei einigen der Soldaten fällt mir das Abschiednehmen denn auch durchaus schwerer als gedacht.

Man hat zusammen eine Menge erlebt – Dinge die verbinden. Ich hoffe, dass ich Einige meiner Mitstreiter im Laufe der Zeit mal Wiedersehen kann, über Facebook o.ä. sollte das zumindest teilweise möglich sein. Ich hoffe weiterhin, dass keinem der Soldaten da draussen etwas passiert, ich hoffe das Menschen wie der gestern getroffene Mullah Tuti in der Lage dazu sind, die Kriegsparteien an den Gesprächstisch zu bringen. Ich hoffe auch für die Aufständischen, die zwar als permanente Bedrohung für das eigene Leib und Leben stehen, in der Lage sind, mit Kompromissen zu leben und zumindest einen Waffenstillstand mittragen können.

Ich bin nicht als Kriegsfotograf dort rausgefahren, sondern als ein Fotograf der dokumentieren wollte, wie das Leben hier in Afghanistan funktioniert oder nicht. Ich hoffe das ist mir gelungen, ich brauche sicher ein paar Tage um alles zu verarbeiten und dann werde ich ein paar Galerien der Bilder hier einstellen, für die ich hier unten war.

Die nächsten Blog-Einträge – bevor ich diesen Blog schliesse  – werden erst wieder eingestellt werden wenn ich wieder zuhause bin und ein Fazit und sortierte Bilder habe!

Bis dahin und “Take care!” Passt auf Euch auf! Alle!

Update: In Kabul scheint es doch die Möglichkeit zu geben ins Internet zu kommen, von daher werde ich versuchen, dass Reisetagebuch noch fortzuführen!

Tee bei Mullah Tuti

Captain Perkins, Mullah Tuti und Dyfed in der Moschee bei Tee und Interview. Eigentlich sollte man hier nicht fotografieren ... eigentlich ...

Die letzte Mission, der letzte Tag im COP Sar Howsa und es soll der Spektakulärste werden. Wir sollen heute Mullah Tuti treffen. Einer der sieben Mujaheddin-Führer aus dem Sowjetisch-Afghanischen Krieg. Einer der ganz grossen Kaempfer, der in den 80ern zusammen mit dem legendären Mullah Omar bei einem Staatsbesuch in Washington vom damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan empfangen wurde. Tutis Wort hat in Afghanistan immer noch viel Gewicht – selbst für die Taliban ist er unantastbar. Sein Wort wird gehört – oder wie Dyfed so treffend formuliert: ” Das ist einer von der Sorte: Wenn der Kuchen spricht dann schweigen die Krümel”

Es geht mit einem Konvoi aus acht Fahrzeugen in ein Gebiet in der südlichen Paktika-Provinz. Der letzte Versuch den Mullah zu sprechen scheiterte – da der Konvoi mit Raketen angegriffen wurde. Na super – und wir versuchen es jetzt also noch mal und fahren in eine Gebiet in dem selbst die Amerikaner noch nie waren. Das Bauchgrummeln wird im Laufe der Fahrt immer stärker – wenn man die Berghänge links und rechts der Strasse sieht. Also wenn ich Taliban wäre …

Die staubige Strasse entlang nach Süden kennen wir, noch von unser Mission in die Feuerstellungen. Diesmal aber soll es deutlich weiter gehen – unbekanntes Terrain. Wir fahren in ein Gebiet ein in dem es langsam grüner wird. Bäume tauchen entlang der Berghänge auf und wir erreichen eine Siedlung, die sogar bewässerte Felder hat.

Leider versagt die Navigation und wir landen an der falschen Seite des Berghangs – die Fahrzeuge müssen wenden und so machen sich die Hälfte Soldaten zu Fuss auf das in Sichtweite liegende Gelände auf dem das Haus von Mullah Tuti sein soll zu erreichen. Die andere Hälfte des Konvois umfährt den Berg, bleibt aber dann in einer schlammigen Zufahrtsstrasse hängen. Jetzt sind wir deutlich weiter von der Siedlung entfernt als die andere Hälfte des Konvois – trotzdem machen wir uns zu Fuss auf und erreichen nach einem 3 Kilometern langen Marsch durch die Felder auch die Siedlung an der Captain Perkins, Dyfed und eine Hälfte des Platoons schon wartet.

Mullah Tuti begrüsst alle herzlich und hat vor dem Captain etwas zu zeigen. Was jetzt passiert widerspricht allen Sicherheitsvorkehrungen der US-Army und auch unseren eigenen Vorsätzen.
Wir werden von Taliban beobachtet, die, das wissen wir, mehrere Posten auf den Hügelketten haben und zu jedem Zeitpunkt wissen wo wir sind. Mullah Tuti, Perkins, Dyfed, zwei weitere hochrangige Afghanen ein Fahrer, ein Mannschaftsdienstgrad der US-Army, zwei Übersetzer und ein Polizist der Afghanischen Polizei sitzen auf einem Pickup-Truck auf und (die meisten davon u.a. Dyfed und ich auf der Ladefläche) und es geht mit hoher Geschwindigkeit über einen schmalen Pass tief hinein in die Berge. Das ganze Platoon Soldaten bleibt verduzt zurück.

Ab jetzt sind wir ein absolut leichtes Ziel für einen eventuellen Taliban-Angriff. Es sind nur zwei Bewaffnete dabei und wir fahren direkt in das Operationsgebiet der Taliban. Ich frage Dyfed während der Fahrt ob das nicht gerade unglaublich dämlich ist was wir da machen, und bekomme als Antwort, dass er sich auch etwas komisch fühlt.

Egal jetzt – es gibt kein zurück. Wir erreichen nach 15 minütiger Fahrt einen Staudamm an dem Mullah Tuti (dieser Mann hat eine echte Aura) erklärt wie wichtig das Wasser für die Gegend sei und dass dieser der Grund für die fruchtbare Erde sei, die wir weiter unten gesehen haben. Wir stehen auf dem Damm wie die perfekten Zielscheiben und ich schaue mich permanent um, als mir einer der Afghanen etwas zuraunt was der Übersetzer wie folgt mitteilt: Du brauchst keine Angst zu haben, Du bist Gast von Mullah Tuti – kein Taliban dieser Welt wird es wagen, dir hier ein Haar zu krümmen.

Na das ist ja schon mal beruhigend – noch beruhigender indes ist, dass wir nach 20 Minuten wieder die Rückfahrt antreten und – auf der Ladefläche des Pickup – die US-Soldaten wieder erreichen. Leutnant Wood der mir entgegenkommt ist meiner Einschätzung nach zwischen der Überlegung seinem Chef heftig die Meinung zu geigen oder vielleicht lieber erst mir die Gurgel umzudrehen. Perkins – sein Vorgesetzter – zuckt nur die Schulter, sagt es sei halt nicht ganz nach Plan gelaufen, aber es wäre doch alles gut gegangen, zieht mich aus der Reichweite von Wood und wir alle zerstreuen uns unter die Siedlungsbewohner, die uns ebenfalls entgegenkommen.

Damit ist es aber noch nicht vorbei – es gibt Tee in der Moschee. Klasse Sache – da ist der Wood wenigstens beruhigt. Also rein ins Haus – Schuhe aus. Das gehört hier dazu. Schussichere Weste braucht man auch nicht, Perkins darf sein Gewehr und ich die Kameras natürlich mitnehmen – fotografieren ist nicht wirklich ok, ein-zwei mal aber geduldet. Komische Sitten – keine Schuhe, aber Kanonen.

Wir betreten einen mit Teppichen ausgelegten grossen Raum in den sich Perkins, Wood, Mullah Tuti, ein Übersetzer  und bestimmt 20 weiter Afghanen zum Tee niederlassen. Und jetzt kommt Dyfeds grosse Stunde – wie Peter Scholl Latour in seinen besten Zeiten fängt er aus dem Nichts heraus ein Interview mit dem Mullah an – und dieser beantwortet alle seine Fragen ausgiebig und gespickt mit kleinen Anekdoten und allerhand Hintergrundgeschichten. Selbst Perkins – der normalerweise immer der Gesprächsführer ist, ist beeindruckt.

Die gesamte Atmosphäre ist faszinierend und getoppt wird das ganze dann als Mullah Tuti uns zu einem ausgiebigen Essen und Übernachtung einlädt – das kann Perkins leider nicht annehmen. Schade … Aber er verspricht aber wiederzukommen und das ganz sicher zu tun. Dann sind Dyfed und ich aber leider schon weg …

Ein bisschen Politik

Eine selbstgebastelte Kontaktplatte die eine IED (Improvised Explosive Device) zuendet. Anhand der verwebdeten Teile kann man evtl. Rueckschluesse auf die Herkunft des Bastlers ziehen!

Sicherheitsbesprechung im COP in Mokathan: Das heisst, dass die Afghanische Polizei, der Afghanische Sicherheitsdienst, das Afghanische Militär und die US-Army sich mit einigen Vertretern zusammensetzen und Informationen austauschen, sowie gemeinsame Vorgehensweisen besprechen. Ich finde es relativ erstaunlich, dass wir da dabei sein dürfen, scheinbar scheint es aber niemanden zu stören

Ausgetauscht werden hier Namen und Aufenthaltsorte von als verdächtig geltenden Männern, die entweder mit den Aufständischen kooperieren oder selbst Aufständische sind. Im Verlaufe der Besprechung legt Leutnant Wolfley eine von den US-Streitkräften gefundene Contact-Plate auf den Tisch. Diese Platten lösen beim überfahren mit schweren Militärfahrzeugen die Zündung der IEDs (Improvised Explosive Devise) aus.

Es ist erstaunlich mit wie wenig Hilfsmitteln so ein Zünder gebaut wird, trotzdem scheint er sehr interessant zu sein, da hier in Afghanistan selbst die einfachsten Dinge wie Kabel, Batterien, Klebeband, Schalter etc. nur an einigen wenigen Orten zu bekommen sind. (aus diesem Grunde wird hier auch jeglicher anfallender Müll verbrannt und nicht einfach weggeworfen, man erklärt uns dass die Aufständischen von der Cola-Dose, über alte Batterien und auch Plastikbehälter alles benutzen um Sprengfallen zu bauen.)

Die gefundene Kontaktplatte lässt daher Rückschlüsse auf die Herkunft der benutzten Materialien zu und genau hier wird dann der Ansatz erfolgen, über den Verkäufer der Teile den Bastler zu finden.

Über den Geheimdienstchef wird gesagt, dass vermutet wird, dass er ein doppelte Spiel treibt – anders könne er sich nicht in seiner Position halten. Er kooperiert auf der einen Seite mit den US-Streitkräften um aber seine eigene Position nicht zu gefährden aber wohl auch mit den Aufständischen.

Dieses doppelte Spiel ist hier in Afghanistan weit verbreitet. Polizisten bessern ihren kargen Lohn damit auf nicht oder nur unzureichend nach Aufständischen zu fahnden, bzw. sich von ihnen kaufen zu lassen, auch das Militär der Afghanen ist durchsetzt von Korruption und Verrat. Ganz unterm Strich ist jeder Afghane erst mal seinem eigenem Stamm verpflichtet – Staat und Regierung interessieren die meisten nicht. So muss man darauf achten, dass Polizei und Militär niemals in einem Gebiet eingesetzt wird, dass den Stamm beheimatet aus dem eingesetzte Polizisten und Militärs stammen. Die würden niemals gegen ihren eigenen Stamm vorgehen.

Nächstes Problem sind die Verfeindungen der Stämme untereinander – Polizisten eines Stammes werden natürlich von Mitgliedern eines verfeindeten Stammes nicht als Autorität akzeptiert. Im Gegenteil … also dürfen sie auch dort nicht eingesetzt werden … schwierig

Das herrschende System ist kompliziert und auch nach tieferer Betrachtung nur sehr schwer zu entwirren.

Je tiefer die Einblicke sind, die ich hier erhalte, desto weiter entfernt sich auch nur die Idee einer Lösung im Afghanistan-Konflikt. Und mir scheint, dass es hier in keinem Fall einen Gewinner geben wird – auch nicht in ferner Zukunft. Meine persönlicher Einruck ist, dass es ein Land ist dessen Menschen seit 30 Jahren nur Krieg und Verfolgung kennen, die am System eines Nationalstaat nicht das geringste Interesse haben, die untereinander tief zerstrtiten sind, unterschiedlichste egoistische Ziele verfolgen und am liebsten in einem autarken System vieler Stämme leben wollen davon viele nach der Scharia, dem islamischen Recht, einige aber auch nicht, dass in seinen Lebensgewohnheiten, Rechts- und Umgangsformen nichts aber auch gar nichts mit westlichen Systemen zu tun hat. Dieses Land ist so kaputt und am Boden, dass sobald die militärischen Einheiten der Coalition Forces (Egal ob Bundeswehr, US-Armee oder Truppen anderer Länder) aus dem Land abziehen, ganz Afghanistan wieder in die Steinzeit versinkt – und das in kürzester Zeit. Eine Lösung der Probleme – nicht einmal eine kleine – hat derzeit niemand anzubieten.

Viel Gerede …

Die Dorfaeltesten der Stadt Motakhan begruessen den stellvertrenden Distriktoberen

Skurril – so kann man diesen Tag wohl am besten beschreiben … Wir machen uns in den fruehen Morgenstunden nach Motakhan auf, einem weiteren COP der Apache-Kompanie, bei der wir Embedded sind. Wunderbar eingequetscht in einen dieser grossen  MRABs … stellt man sich die Beinfreiheit eines VW-Käfers auf der Rücksitzbank vor und den restlichen umgebenden Raum mit Kabeln, Munition und den Füssen des Turmschützen, gepaart mit der Lautstärke einer mittellgrossen Dorfdisco am Samstagabend und dem permanenten Geruch nach schon 3 Wochen am Stück getragenen Socken hat man eine gute Vorstellung davon wie US-Reisen in Afghanistan so aussehen.

Es geht über Sharana – dem drittgroessten Standpunkt von US-Truppen in Afghanistan – nach Motakhan und die Fahrzeugbesatzung (neben mir noch 4 weitere Soldaten) ist gut drauf. Ziel der Lästerattacken ist der Fahrer, der idiotischerweise offenbart, dass seine bisherigen körperlichen Kontakte zum weiblichen Geschlecht doch eher spärlich waren (freundlich ausgedrückt). Man kann sich vorstellen, was in diesem MRAB los war … getoppt wurde das ganze noch dadurch, dass er freimütig bekannte auch noch nie eine Folge von “Star Wars” gesehen zu haben. Auweia – der Dienstälteste Sergeant im Truck bringt es auf den Punkt: ” Mit was für Leuten glauben die denn zuhause einen Krieg gewinnen zu wollen wenn sie uns jetzt schon Jungfrauen schicken, die noch nicht einmal wissen wer Han Solo ist und nicht die Grundregeln der Jedi-Ritter kennen”. Ein bisschen kann ich seinen Argwohn nachvollziehen …

Der COP den wir nach eineinhalb Stunden Fahrt erreichen ist mit Sar Howsa nicht zu vergleichen, eher mit einer Puppenstube und es gibt auch keine Zweibettzimmer sondern mein Quartier wird nach langem Suchen irgendwo mitten in einen Raum in dem schon 10 andere Soldaten nächtigen gefunden. Nun ja – irgendwie wird es schon gehen. Ich teile mir mein “Bett” mit meinem Nackenhoernchen (ich gestehe freiwillig das ich das als Konzession an die Zivilisation mitgenommen habe) und einem Schnellfeuergewehr mit 100 Schuss Munition. Nicht das ich das dringend brauche, aber woanders ist kein Platz.

Weiter geht es zum ersten “Date” – einer Schura (quasi eine Sitzung der Ortsvorsteher) von Dorfältesten in der lokalen Schule. Schwer bewacht von einem Platoon US-Soldaten und einer Einheit der afghanischen Polizei treffen sich hier die Gespraechsparteien.  Der Raum der als Ttreffpunkt dient ist kaum zu beschreiben ohne Details dabei auszulassen. Teppiche auf dem Boden und an der Decke – dazwischen Schulmobiliar aus den späten 50er Jahren, überall Wüstenstaub und an den Wänden versandete Hängetafeln mit dem Periodensystem der Elemente, dem anatomischen Aufbau eines Froschs und diversen Koransuren.

In der Sitzung zu der die US-Militärs eingeladen sind, soll es um die Hilfe der USA bei der Weiterbildung von Farmern gehen. Endlose Diskussionen entspinnen sich – die Afghanen würden gerne von den US-Soldaten wissen, wie das funktionieren soll, die US-Jungs betonen immer wieder das sei ihnen prinzipiell egal, es soll so laufen, wie die Afghanen es wollen. Die aber wissen nicht so genau was sie wollen und warten auf Vorschlaege der Amerikaner und so wird erst mal eine Weile mit vielen Worten nichts gesagt.

So kommt man nicht weiter – es muss also erst mal ein Zeitplan für Weiterbildungen her. Also sollen die Afghanen sagen wann es ihnen am liebsten wäre. Die sagen in der Schulzeit, sind sich aber untereinander nicht ganz einig wann das ist. Einige behaupten Schule sei immer von März bis November. Andere sagen Dezember, wieder andere sagen erst ab Mai. Kurzerhand wir die Schulzeit neu definiert von Maerz bis zum 12. Dezember … kein Kommentar!

OK – bisher also keine Einigung (mit Aussage der jetzt nun sichergestellten Schulferien). Die Zeit vergeht nur schleppend, der Durchbruch scheint aber in dem Moment zu kommen, als den Afghanen einfällt, dass man statt Schulungen viellicht doch besser einen Damm bauen solle der die gesamte Provinz bewässert – der hatte jetzt zwar mit dem aktuellen Schulungen nichts zu tun, würde aber trotzdem gebraucht. Die USA geben zu bedenken, das ein Damm jetzt gerade mal nicht im Etat sei. Mann solle doch jetzt bitte wieder ueber die Schulungen sprechen. Die Afghanen sprechen also weiter ueber den Damm, die USA ueber Schulungen.

Die etwas aneinander vorbeilaufen Gespräche werden von beiden Seiten nach einer weiteren halben Stunde mit dem Urteil “erfolgreich” beendet als man sich versichert, man sei jetzt nach “guten Gespraechen” ja schon ein gutes Stück weitergekommen und werde über die Details dann in den nächsten Monaten reden. (Irgendwie erinnert das auch fatal an politische Traditionen bei uns in Deutschland)

Ich weiss jetzt nicht so genau, ob  A)- man wirklich glaubt, ein Schulungsprojekt durch ein Damm Projekt erweitern zu koennen oder B) -  der Übersetzer einfach Bockmist gebaut hat. Zumindest habe ich im Gegensatz zu allen Anwesenden leichte Zweifel am Erfolg der Verhandlungen. Vielleicht bin ich aber auch nur Pessimist!

Auswaerts

Und seit heute werde ich al legitimer Erbe John Waynes gefuehrt ... ok ... ok ... aber immerhin hat der seinen Helm immer genau so sch ... getragen. Und er war besser rasiert ...

Heute morgen werden wir den COP verlassen und zu einem anderen Platoon der 228. Kompanie aufbrechen. Wir versprechen uns ein bisschen was davon, eine weitere (scheinbar funktionierende) Schule zu sehen, andere Menschen zu treffen und evtl einen der grossen alten Fuehrer der Mujaheddin zu treffen und mit ihm sprechen zu koennen.

Einer derer die schon zu Zeiten des Krieges mit der Sowjetunion mehere tausend Kaempfer befehligt hat. Ich hoffe wirklich, dass das klaptt und stelle mir das sehr faszinierend vor. Vielleicht gibt es ja ein gutes Portrait. Vielleicht klappt natuerlich auch gar nichts und wir landen nur in einem anderen COP.

Auf jeden Fall aber bin ich vermutlich ein zwei Tage nicht in der Lage eine Verbindung zum Internet herstellen zu koennen sondern zumeist irgendwo draussen unterwegs!