Kalte Nächte – Tag 4

Lagerfeuerromantik im Aussenposten – ein erprobtes und gutes Mittel zur Kältebekämpfung am Hindukusch

Das Camp Hazrat-e Sultan verfällt tagsüber wieder in einen gemächlichen aber ständigen Arbeitsrhythmus.  Nachdem dieses Feldlager jedoch fast gänzlich leergeräumt ist hat es aber noch ein echtes Highlight zu bieten – die Küche.

Ein Team von Soldaten aus Sachsen hat es sich scheinbar auf die Fahne geschrieben, mitten im nirgendwo das Niveau von Bundeswehrfeldküche auf einen bis dato nicht gekannten Qualitätsstandard hochzuschrauben.

Ohne Mampf kein Kampf – demnach müsste hier der Kampfgeist besonders ausgeprägt sein. Von Sauerbraten mit Knödeln und Rotkraut über Gyros mit Pommes oder frischen Fischfilets. Die Entscheidung die Kühlcontainer als Letztes abzutransportieren war offensichtlich richtig. Alles wird frisch zubereitet und es schmeckt „wie bei Muttern“. Selbst zum Frühstück wird neben den normalen Broten und Rührei immer noch etwas Warmes wie Weisswürste mit süssem Senf oder kleine Häppchen serviert.

Das ich mich einen nicht so kleinen Teil der Zeit permanent im Verpflegungszelt aufhalte kann man so vielleicht verstehen – fotografisch gibt es hier nicht sonderlich viel Belichtenswertes und die Frage nach den überflüssigen Pfunden verdränge ich erst mal – es schmeckt wirklich ausserordentlich lecker.

Das haben selbst die amerikanischen Soldaten mitbekommen die auch deutlich länger als gewohnt an den Tischen sitzen und sich für einen Nachschlag mehr als einmal in die Reihe der Essenfassenden einreihen.

Der Tag schleppt sich so hin, bis die Kälte wieder um sich greift. Am heutigen Abend ist es aber nicht so tragisch. In einer kleinen Feuerstelle werden alle möglichen Holzreste, seinen es alte Paletten, Holzkeile oder nicht mehr gebrauchte Conatinerstützen aus Holz verfeuert. Ein bisschen Lagerfeuerromantik – unterstützt durch ein paar auf verschleierten Wegen eingeschmuggelte Bierbüchsen – und die Stimmung wird immer lockerer.

Neben den Bierbüchsen kursieren auch Geschichten des Erlebten und viele der „Lagerfeuerbesetzer“ erzählen ihre lustigen, nachdenklichen, spannenden, traurig-machenden und manchmal unglaublichen Anekdoten aus ihrer Zeit in Afghanistan.

Den Vogel schiessen aber die Techniker des PGSS-Systems – des gestrigen schon beschriebenen Überwachungssystems – ab. Irgendwann beginnt einer mit den „Ihr glaubt ja gar nicht was die Soldaten der ANA in ihrem Feldcamp tun wenn sie sich nachts unbeobachtet fühlen“ Geschichten.

Sie richtig glauben kann diese Geschichten niemand – bis dann die Frage nach den Beweisen aufkommt. Und die haben sie. Es ist schier unglaublich welche Bildqualität die installierte Überwachungskamera schon bei ein bisschen Mondlicht hat und noch schier unglaublicher welche Videos da nächtens aufgezeichnet worden sind: Das der Gebrauch von Toilettenpapier zumindest unüblich ist und stattdessen lieber eine handvoll Sand dem gleichen Zweck dient mag evtl. noch niemanden ernstlich erschüttern, dass es im Anschluss daran direkt zur Nahrungsaufnahme ohne irgendwelche Hilfsmittel wie Besteck geht mag vielleicht auch „nur“ etwas abstossend wirken. Das ist aber nur die Spitze des Eisbergs der schier unfassbaren Videos der Überwachungskamera – ich lasse weitere Beschreibungen und alle Details mal weg und entlasse Euch in die persönliche Phantasie.

Irgendwann geht es dann wieder in die Kälte des unzureichenden Schlafsacks – nicht ohne den Versuch die eben noch gesehenen Bilder wieder aus dem Kopf zu bekommen. Nicht ganz einfach – aber „rein zufällig“ sind noch ein paar Bierbüchsen aufgetaucht. Man kann solche Bilder auch ertränken.

Morgen soll es in die Provinz Baghlan in den „OP-North“ gehen – per Hubschrauber … ich bin gespannt und hoffentlich gibt es da kein PGSS.

 

 

 

 

Hazrat-e Sultan – Tag 3

Der Aussenposten Hazrat-e Sultan in der Provinz Samangan in Afganistan. Mehr Containerbaustelle als Feldlager.

Hazrat-e Sultan (kurz:HES) ist das erste Camp, in welches wir am dritten Tag aufbrechen. Es ist der erste Aussenposten der Bundeswehr, der nun vollständig aufgelöst wird. Genau das ist aber einer der Gründe für die Reise: Das Thema Truppenabzug aus Afghanistan soll bebildert werden und in diesem Camp wird gerade zusammengepackt.

Früh morgens um 7 sammeln wir uns am Abfahrtpunkt und ein Konvoi aus mehreren Miltärfahrzeugen – zumeist den gepanzerten „Dingos“ –  fährt zum ca. 90 km gelegenen Camp. Prognostiziert wird eine Fahrzeit von 1,5 – 2 Stunden. Für hiesige Verhältnisse extrem schnell. Grund – die gesamt Strasse nach Hazrat-e Sultan ist asphaltiert – in Afghanistan schon was Besonderes.

Die Fahrt ist entspannt und uns wurde schon kurz vor Abfahrt gesagt, das wir ein sehr grünes und fruchtbares Tal durchqueren werden, als wir aber wirklich am Rand dieses Tals vorbeifahren, die Granatapfelfelder, die kleinen am Strassenrand gelegenen Verkaufsstände und sogar grüne Obsthaine sehen sind wir beinahe ein klein wenig irritiert. Das sieht hier nach allem möglichen aber nicht nach einem Kriegs- oder Krisengebiet aus.

Es gibt hier Wasser – und das heisst Landwirtschaft. Ganz sicher ist das Gebiet zwar immer noch nicht, aber bewaffnete Zwischenfälle hat es hier schon seit Wochen nicht mehr gegeben und es ist sehr unwahrscheinlich, dass es hier zu irgendwelchen Vorfällen kommt.

Wir passieren das Tal und erreichen nachdem wir wieder einige Kilometer Wüstenstrasse gefahren sind den Bundeswehr- Aussenposten. Direkt daneben sind – frisch gebaut – die Unterkünfte für ein Batallion (also mehrere hundert) Soldaten der afghanischen Armee. Das amerikanische Design ist unverkennbar. Die „Häuser“ sehen ein bisschen wie Flugzeughangare aus – und ganz fertig sind sie auch noch nicht. Die Soldaten der ANA (Afghan National Army) schlafen weiterhin in Zelten und warten auf die Fertigstellung. Wenn ich mir so die Arbeitsgeschwindigkeit der Arbeiter dort auf der Baustelle ansehe, werden sie wohl noch länger in den Zelten bleiben müssen.

Nebenan im Bundeswehrcamp herrscht geschäftiges Treiben. So ein Camp besteht aus 200 Seecontainern. Die dienen als Unterkünfte, Lager, und Diensträume. Die meisten sind allerdings schon abtransportiert und so gibt es auch für uns keine festen Unterkünfte sondern nur Zelte. Ok – sind wir solidarisch mit den Nachbarn der ANA. Internet gibts auch nicht – der Container mit der Kommunikationstechnik ist schon abtransportiert.

Im hinteren Teil des mehrere Fussballfelder grossen Camps demontieren einige amerikanische Techniker gerade das PGSS-Überwachungssystem. Das ist ganz simpel ausgedrückt ein mit Helium gefüllter Zeppelin der an einem langen Draht 200-300m über dem Camp hochgezogen werden kann und mit einer extrem guten schwenkbaren Kamera ausgerüstet ist die sowohl tags- als auch nachts gestochen scharfe Bilder der Umgebung liefert und aus dem Camp heraus von Monitoren aus kontrolliert werden kann – zu dieser Kamera gibt es morgen eine mehr als skurrile Geschichte …

Irgendwie hat man hier den Eindruck auf einer mehr oder minder grossen Baustelle zu sein. LKWs fahren die Container weg, grosse Krane hieven sie auf die Sattelzüge, überall wird zusammengepackt und selbst die Fitnessgeräte, vom Laufband bis zum Spinning-Bike (man wundert sich was alles in einem Aussenposten steht) werden fein säuberlich wieder verpackt.

Der Abend nähert sich – und mit Sonnenuntergang schlägt die Temperatur radikal um. Waren es tagsüber 25 Grad fällt das Thermometer binnen einer halben Stunden auf 5 während der Nacht sogar fast bis an den Gefrierpunkt. Ärgerlich, dass die Heizung im Zelt nicht funktioniert, noch ärgerlicher, dass mein Schlafsack, obwohl von Globetrotter als Minustemperaturtauglich beworben – mich erbärmlich frieren lässt. Neben dem Geschnarche der Zeltmitbewohner, schlottere ich mich also durch die Nacht und der nächtliche unbeleuchtete Gang zum 200m entfernten Toilettencontainer fühlt sich an wie eine Expedition im 3-Sterne Eisfach eines Standardkühlschranks.

Um 5 Uhr ist die Nacht vorbei – und ich ein Eiszapfen. Warmer Kaffee aus der Feldküche ist das einzige Mittel, aber nachdem die Sonne wieder aufgegangen ist wird es sofort wieder wärmer. Irgendeine Lösung für die nächste Nacht muss her – na mal sehen …