Chaos in Paktika

Polizisten der AUP (Afghan Uniformed Police) in Sar Howsa in der Provinz Paktika

Nachfolgend versuche ich, ein paar Fakten, Zahlen, Fragen und allgemeine Zusammenhänge über die Paktika-Provinz und deren Menschen aufzuschreiben. Alles Dinge, die mir im Laufe der letzten 3 Wochen über den Weg gelaufen sind, Fragen die ich selbst gestellt, oder auch nicht gestellt habe – einfach ein kleines bisschen Wissen, dass vielleicht hilft diesen Teil der Welt ein bisschen mehr zu verstehen. Natürlich ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Es sind alles Sachen, die ich vorher nicht wusste und von denen ich persönlich glaube, dass es ganz gut ist sie zu wissen, wenn man sich mit dieser Region Afghanistans beschäftigt.

Paktika ist eine der südöstlichen Provinzen Afghanistans. Etwa 19.500 Quadratkilometer gross mit einer Bevölkerung von über 800.000 Menschen (offizielle Schätzung), auf einer Meereshöhe von 1500 – 4500 Metern. Grösstenteils ist hier die Volksgruppe der Paschtunen heimisch (eine kleine Minderheit sind Tajiken – also ist die Sprache zur Verständigung Paschtu und nicht Dari wie es zum Beispiel in der Region um Kabul im Norden gesprochen wird – beide Sprachen haben nichts miteiander zu tun). Ein Paschtu-Sprechender kann kein Dari verstehen und umgekehrt. Paktika ist aufgeteilt in 19 Distrikte (wir waren im Distrikt Sar Howza) sagt die Zentralregierung in Kabul, die Regierung der Provinz Paktika sagt es sind 23 Provinzen – was die Administration z.B. bei der Verteilung von Geldern für Schulen etc. ungemein erschwert. Beide beharren auf ihrem Standpunkt. Die beiden grössten Städte sind Sharana, die Hauptstadt der Provinz (55.000 Einwohner) und Orgun (90.000 Einwohner)

Entscheidungen oder Beschlüsse in der Provinz fassen in Afghanistan traditionell die Stammesältesten der Stämme der Paschtunen ( es gibt derer 5) – jeder Einwohner ist zuerst seinem Stamm verpflichtet alle anderen Institutionen sind zweitrangig oder werden komplett ignoriert. Niemand fühlt sich der Zentralregierung in Kabul verpflichtet. Geht es nach den Einwohnern, würde jeder Stamm ein eignes Autonomiegebiet bekommen. Das Prinzip einer Staatsform nach westlichem Masstab, als eine Zentralregierung und Demokratie stossen hier höchstens auf Unverständnis. Die Stämme sind allerdings teilweise auch untereinander verfeindet.

Die Paschtunen gelten als sehr konservativ, streng religiös und sind gebunden an die vier Grundregeln des “paschtunwali”, des paschtunischen Ehrenkodex:

Ehre: Alle Paschtunen sind gezwungen, die Ehre ihrer Familie und des Stammes zu mehren und zu verteidigen. Ein Verstoss dagegen kann die Rache (den vierten Kodex nach sich ziehen). Die grössten Streiteren haben Frauen, Land und Geld als Ursache (da hingegen sind sie sehr westlich). Ein Paschtune muss diese drei Dinge mit Leben und Ehre verteidigen.

Gastfreundschaft: Paschtunen sind bekannt für ihre grosse Gastfreundschaft. und behandeln ihre Gäste mit Ehre und Respekt. Viele Dörfer und grosse Familien haben eigene Gästehäuser. Auch bei niedrigem Einkommen oder limitierten Ressourcen wird jeder Fremde immer willkommen geheissen, es wird ihm zu Essen gegeben und er bekommt einen Schlafplatz. Das gilt auch für Nicht-Paschtunen.

Vergebung: Hat ein Paschtune ein Unrecht oder ein Verbrechen begangen ist es ihm erlaubt dieses selbst Anzuzeigen und um Vergebung zu bitten. Es werden Geschenke gemacht, die die die Vergangenheit vergessen machen sollen. Demjenigen dem der Schaden zugefügt worden ist entscheidet ob er das Angebot annimmt. Häufig wir eine solche Lösung von Frauen arrangiert – die Frauen gelten bei den Paschtunen als Friedensstifter.

Rache: Paschtunen können für ein erlittenes Unrecht Rache nehmen indem das gleiche Unrecht an dem begangen wird, der es zuvor verübt hat. Dabei kann das Unrecht durchaus Jahrzehnte in der Vergangenheit liegen. Es existiert also auch die Blutrache als legitime Form. Tötet z.B. ein Paschtune den Bruder eines anderen Paschtunen, darf dieser unbekehrt auch den Bruder des Täters töten.

Nicht nur in Paktika sondern in ganz Afghanistan gibt es drei verschiedene Sicherheitskräfte.

1 – die AUP (Afghan Uniformed Police) – gilt als korrupt und ist bei der Bevölkerung nicht akzeptiert. Ein Monatslohn liegt bei etwa 200 Dollar. Um das Gehalt zu verbessern, sich selbst nicht in Gefahr zu bringen oder die eigene Familie zu schützen sind viele Polizisten auf einem Auge blind für die Aktivitäten der Aufständischen oder von Kriminellen. Der Posten eines Distrikt-Polizeichefs ist mit 100.000 Dollar käuflich.Das Geld dazu wird mit Entführung, Raub und Schmuggel erwirtschaftet.

2- die ANBP (Afghan Border Police) – existiert nur in Provinzen mit Grenzen zu anderen Ländern. Sie ist schlecht ausgestattet und wird von der Zentralregierung quasi ignoriert. Die ANBP gilt ebenfalls als korrupt und mit besten Verbindungen zu Schmugglern. Oftmals ist ein Familienmitglied bei der ANBP während ein anderes Familienmitglied professionellen Grenzschmuggel betreibt und man sich so gegenseitig unterstützen kann.

3 – die ANA (Afghan National Arm) – hat als einzige Sicherheitskraft eine gute Reputation (zumindest in der Provinz Praktika). In ihr hat man erfolgreich Soldaten aller ethnischen Gruppen integriert und sie gilt als dazu in der Lage Angriffe von Aufständischen zu beherrschen. Leider ist die Truppenstärke noch in keiner Weise ausreichend.

Paktika ist die ärmste Provinz des zweitärmsten Landes der Welt (Afghanistan), man kann sich daher die Lebensbedingungen in krassen Farben ausmalen. Nur 25% der Bevölkerung hat sauberes Trinkwasser,  66% der Menschen leben von der Landwirtschaft, insgesamt 84% der Menschen haben mehrmals im Jahr nicht genug zu essen, 42% gelten als unterernährt.

Nur 1% der Bevölkerung Paktikas hat Zugriff auf Strom, bis auf die Städte Sharana und Organ gibt es kein Handynetz, aber fast alle Familien haben Zugriff auf ein Handy was sich oft untereinander geliehen wird um von einem Ort mit Empfang aus zu telefonieren.  In den Abendstunden wird das Netz vollständig abgeschaltet, da die Taliban befürchten, dass die internationelane Streitkräfte über das Netz die Standorte der Kämpfer ausfindig machen können – die Telekommunikationsfirmen wurden entsprechend bedroht und beugen sich dem Druck!

Bis 2006 gab es in der gesamten Provinz nicht eine einzige asphaltierte Strasse.Die US-Armee hat 2008 die erste Asphaltierte Strasse zwischen Sharana und Orgun fertiggstellt.

Die Hauptinformationsquelle in Paktika ist das Radio – die meisten Haushalte haben Zugriff auf eins. Es gibt mehrere lokale Sender, aufgrund von fehlendem Strom gibt es fast keine Fernseher, Zeitungen oder andere Printmedien gibt es nicht, da die Analphabeten-Rate bei knapp 90% liegt.

Eine weitere wichtige Informationsquelle sind die Moscheen – deren Mullahs gelten bei der Bevölkerung als glaubwürdig. Sowohl die Taliban als auch die Coalition Forces versuchen mit einer Einflussnahme auf die Mullahs Stimmung für sich zu achen.

Als letztes – ohne langweilig werden zu wollen – die ganz grosse Frage: Wer oder was sind die Taliban? Wie schlüsselt sich das auf? Was hat das mit al Quaida, was mit den Aufständischen zu tun.

Zuerst mal – das sind alles unterschiedliche Gruppen – alle zusammengefasst unter dem Begriff “Insurgents” (Aufständische). Listen wir sie doch einmal:

Das Haqqani-Netzwerk:
Hochaktives Netzwerk, von Pakistan aus operierend. Angeblich kann Haqqani in 90% von Paktika einer Person Sicherheit garantieren. Verantwortlich für viele Anschläge in Kabul. Verbunden mit Al-Quaida und den Taliban. Haqqani kann man aber auch wie ein Franchise Unternehmen für Terrorismus sehen.

Die Mansur-Gruppe:
Ehemaliger Haqqani-Kommandant, befehligt eine selbständige Gruppe in der Gegend Sar Howsa.

Pakistanische Jihad-Gruppen: Befürworter des heiligen Kriegs – von Pakistan aus in der Gegend von Sar Howsa, Sharana und Orgun operierend. Richten ihre Attacken nicht nur gegen Coalition Forces (IED-Anschläge, Raketenangriffe) sondern widmen sich auch der Zerstörung möglichst vieler öffentlicher Einrichtungen und infrastrukturellen Punkten wie Brücken, Strassen etc.

HIG-Gruppe: (Hezb-e.Islami-Gulbuddin):
Zur Zeiten des Sowjet-Krieges gebildete Gruppe mit grossem Machteinfluss in Paktika – sieht sich selbst als Konkurrenz zum Haqqani-Netzwerk, kämpft aber auch gegen alle ausländischen Streitkräfte.

Taliban – gewalttätige Aktivisten die als einziges Ziel die Vertreibung der ausländischen Streitkräfte haben um den Gottesstaat Afghanistan wieder nach der islamischen Scharia aufzubauen. Religiöse Fanatiker – im Gegensatz zu anderen Gruppen nicht an überregionalen Attacken (Terrorismus in anderen Ländern) interessiert – haben sich von al Quaida losgesagt.

al Quaida – Terrororganisation die international operiert und nicht nur Ziele in Afghanistan verfolgt. Logistische Organisation von allen Aufständischen (mit Ausnahme der Taliban). Al Quaida trainiert die Kämpfer der anderen Gruppen, besorgt Material und stellt auch Selbstmordattentäter.

Ganz schön komplex, oder? Und das ist erst die Spitze des Eisberges. Hinzu kommt die Aufsplitterung der o.g. Gruppen und deren interne Interessenkonflikte (bedingt z.B. durch die Stammeszugehörigkeit der Aktivisten, deren Verbindungen zum Drogenanbau und Schmuggel, sowie deren Verbindungen zu regionalen Stammesfürten und Warlords). Selbst nach ganz vielen Erklärungen die ich bekommen habe, habe ich selbst viele Details immer noch nicht verstanden. Ich habe es aber mal soweit als möglich aufgeschrieben umd damit die komplexe und auch frustrierende Situation für alle Menschen in der Provinz Paktika etwas zu verdeutlichen. Hoffentlich ist das zumindest ein bisschen gelungen …

Abschied vom COP

Letzter Blick auf den Turm "Bravo", einen der Wachtürme des COP. Wenn der Stacheldraht und das Militärische nicht wäre, könnte es sogar ein schöner Sonnenuntergang sein!

Die letzte Mission ist überstanden, wir fahren wieder rein in den COP, packen unsere Sachen und werden heute Abend nach Sharana verlegt, von wo aus dann der Heimflug Richtung Bagram startet. Das dauert – vermutlich sind wir noch einen Tag in Bagram und evtl. auch noch zwei Tage in Kabul, von wo aus es dann über Dubai zurück nach Frankfurt wieder auf heimischen Boden geht.

Es ist nicht ganz leicht zu beschreiben, wie ich mich jetzt gerade fühle. Einerseits bin ich froh, dass ich aus dem Kriegsgebiet Afghanistans wieder nach Hause kann – und ich habe ganz viele Neider bei der Apache 2-28, Kompanie, die uns für knapp 3 Wochen beheimatet hat. Nicht nur weil ich dann wieder Deutsches Bier trinken darf, sondern weil ich im Gegensatz zu den Soldaten eben wieder zu Hause bin. Andererseits wäre ich gerne noch geblieben, hätte die grosse Schura im COP, eine abgesessene Patrouille, weitere Städte in der Provinz Paktika gerne noch kennengelernt.

Wir werden von Captain Perkins verabschiedet, sagen allen Anderen auch noch Tschüss und besteigen zum letzten Mal die grossen MRABs um zum Hauptstützpunkt gebracht zu werden. Auf dieser letzten Strecke bekommen wir noch einmal eine Kostprobe von den Gesangskünsten der Soldaten. Die haben relativ erfindungsreich einen iPod an die interne Funkanlage des Militärfahrzeugs angeschlossen und es folgen muntere Karaokegesänge von Kate Perry bis Dirty Dancing.

In Sharana werden wir von Major Buccino in Empfang genommen und gleich werde ich zum ersten Mal nach 3 Wochen wieder in einem richtigen Bett schlafen und eine einigermassen begehbare Dusche betreten.

Es waren intensive Wochen, intensive Erfahrungen teilweise nahe am Grenzbereich des physischen und auch psychischen. Für mich selbst war es wichtig, diese Art der Fotografie gemacht zu haben, viel wichtiger aber der intensive Kontakt mit den Menschen da draussen. Es klingt klischeehaft, aber es verbindet einen schon mehr mit jemanden, von dem man weiss, dass das eigene Leben vom Verhalten und der Aufmerksamkeit des Gegenübers abhängig ist. Bei einigen der Soldaten fällt mir das Abschiednehmen denn auch durchaus schwerer als gedacht.

Man hat zusammen eine Menge erlebt – Dinge die verbinden. Ich hoffe, dass ich Einige meiner Mitstreiter im Laufe der Zeit mal Wiedersehen kann, über Facebook o.ä. sollte das zumindest teilweise möglich sein. Ich hoffe weiterhin, dass keinem der Soldaten da draussen etwas passiert, ich hoffe das Menschen wie der gestern getroffene Mullah Tuti in der Lage dazu sind, die Kriegsparteien an den Gesprächstisch zu bringen. Ich hoffe auch für die Aufständischen, die zwar als permanente Bedrohung für das eigene Leib und Leben stehen, in der Lage sind, mit Kompromissen zu leben und zumindest einen Waffenstillstand mittragen können.

Ich bin nicht als Kriegsfotograf dort rausgefahren, sondern als ein Fotograf der dokumentieren wollte, wie das Leben hier in Afghanistan funktioniert oder nicht. Ich hoffe das ist mir gelungen, ich brauche sicher ein paar Tage um alles zu verarbeiten und dann werde ich ein paar Galerien der Bilder hier einstellen, für die ich hier unten war.

Die nächsten Blog-Einträge – bevor ich diesen Blog schliesse  – werden erst wieder eingestellt werden wenn ich wieder zuhause bin und ein Fazit und sortierte Bilder habe!

Bis dahin und “Take care!” Passt auf Euch auf! Alle!

Update: In Kabul scheint es doch die Möglichkeit zu geben ins Internet zu kommen, von daher werde ich versuchen, dass Reisetagebuch noch fortzuführen!

Blackout

US-Soldaten feuern mit einem 120mm Moerser aus einer befestigten Stellung heraus Gefechtsfeldbeleuchtung.

Kein Internet, kein Telefon, keine Kommunikationsmöglichkeiten – alle Leitungen sind lahmgelegt. Ein sogenannter “Blackout”. Warum? In einem COP etwas weiter südlich von unserem hat es einen Selbstmordanschlag gegeben. Das traurige Ergebnis: Ein toter US-Soldat und ein toter Attentäter. Sinnlos, unverständlich, deprimierend und leider immer wieder Alltag. In so einem Fall werden alle Kommunikationskanäle so lange geschlossen, bis die Angehörigen informiert sind – ein verständlicher Vorgang, der zwar die Möglichkeit schnellen Datentransfers einschränkt, aber … so what. Nach all dem was wir erfahren haben ist es in Afghanistan scheinbar so, dass je südlicher die Provinz, desto heftiger tobt der Krieg. Berühmt berüchtigt sind die Südprovinzen Hellmand und Knunar – die meisten Toten des Krieges sind hier zu beklagen. Wir sind im östlichen Teil – hier tobt es nicht so heftig aber es scheint sich weiter Richtung Osten und somit in unsere Richtung (Paktika) zu verlagern.

Trotz alledem sprechen die Streitkräfte hier von einem “Low-Intensity War”. Es gibt keine grösseren Schlachten oder lang anhaltende Feuergefechte. Die Aufständischen schlagen punktuell zu und verlassen so schnell wie möglich wieder das Gebiet in dem sie einen Anschlag durchgeführt haben, Soldaten der “Coalition Forces” beschossen haben oder mit Sprengfallen auf den Strassen versucht haben Erfolge zu erzielen.

Das die Soldaten überhaupt mal einen Aufständischen zu Gesicht bekommen kommt nur auesserst selten vor – und überhaupt, woran wuerde man den denn erkennen? Ob Afghanischer Zivilist oder aufstaändischer Kaempfer – allein optisch macht das keinen Unterschied und es ist gar nicht einmal zu ungewöhnlich, dass ein ansonsten harmloser Tagelöhner sich ein bisschen Geld dazu verdient wenn er Abends ein bisschen auf ausländische Streitkraefte schiesst, seine Waffe danach versteckt und sich wieder dem Alttag zuwendet.

Ab Oktober bricht dann so langsam die Winterzeit an und die Aufständischen Kämpfer verlassen Afghanistan um sich zu grossen Teilen über die Grenze nach Pakistan aufzumachen und dort die Wintermonate zu verbringen (auch denen wird es dann hier zu kalt). Sie fliessen über die Gebirgsketten der sogenannten Durand Linie – das ist die Grenze zwischen Pakistan und Afghanistan (eine von einem britischen Offizier names Durand um 1890 erdachten Grenzlinie die von keiner Seite jemals akzeptiert wurde) zur Frühjahrsoffensive wieder ein.

Ich werde die nächsten Tage mal ein bisschen intensiver über die Provinz Paktika und das was wir in den letzten Tagen erlebt haben schreiben – einstweilen aber sind alle Internetleitungen permanent besetzt. Kein Wunder die Soldaten hier wollen nach dem Aufheben der Sperre zuhause Bescheid sagen, dass es ihnen gut geht.

A Ghost in Tower 2

Wir sitzen auf den Stufen vor unser Holzbaracke und verarbeiten gerade die Erlebnisse des Tages – da passiert es. Einer der Soldaten der neben uns in der Baracke wohnt kommt nach seinem Wachdienst schwer bewaffnet um die Ecke gelaufen und behauptet: “There’s a Ghost in Tower 2″. Das setzt den ganzen Erlebnissen des Tages die Krone auf … einer von Denen die beinahe darauf warten ein Feuergefecht zu erleben und meist auf dicke Hose machen, kommt leicht verängstigt um die Ecke und behauptet auch nach Nachfrage er habe einen Geist gesehen – irgendeinen schwarzen tellergrossen Dämonen – und wirkt ziemlich durcheinander. Was immer er auch gesehen hat – vermutlich eine der hier heimischen grossen Spinnen – es ist nicht rauszubekommen. Nachdem er die Tür hinter sich zugezogen hat grinsen Dyfed und ich uns an … solange der Geist nicht zu den hier aufgestellten Dixie-Klos weiterwandert kann uns das egal sein

Der Tag war heftig – wir waren auf einer Mission der Truppen mit im Berggebiet Afghanistans. Mit Helm und mit genug Wasser und der obligatorischen schussicheren Weste bekleidet fahren wir in einem Konvoi aus mehreren MRAPs – angeblich ist er Minensicher und Hinterhalt-geschützt – offiziell heisst das Mine Resident Ambush Protected aus dem COP zu einem 12 km entfernten Checkpoint, den die US-Soldaten zusammen mit der afghanischen Polizei während ihrer 5 Tages-Mission aufgebaut haben. An dieser Stelle hat es immer wieder Angriffe der Aufständischen gegeben, also ist dieser Kontrollpunkt eine Ansammlung von Schuss- und Splittersicheren Barrikaden den sogenannten Hescos aufgebaut worden. Die Mission heute dient dazu diesem Checkpoint noch ein Dach zu verpassen – das soll Sicherheit vor Mörserbeschuss bringen.

Eine Strasse wie die auf der wir fahren habe ich mein Lebtag noch nicht gesehen. Ein staubige Bergpiste die durch die Bergregion führt, über und über mit riesigen Schlaglöchern versehen und von Flüssen und Bächen überflutet. Das auf dieser Strasse überhaupt Fahrzeuge fahren grenzt an an Wunder – dabei ist es die Hauptverbindungsroute nach Pakistan und nicht nur Militärfahrzeuge nutzen sie sondern auch die überall zu sehenden Jingle-Trucks, knallbunt angemalte uralte LKWs mit denen Waren transportiert werden.Die Fahrt dauert mehr als eine Stunde.

Die grösste Angst der Soldaten ist die vor sogenannten IEDs. (Improvised Explosive Devise), selbstgebaute Bomben, von teilweise so immenser Sprengkraft, dass sogar die stark gepanzerten MRAPs dabei  beschädigt und die Besatzung verletzt werden kann – solche explodieren in der Provinz Praktika beinahe täglich. Aus diesem Grund sind vor den MRAPs Minenwalzen angebracht die die IEDs vor dem Fahrzeug zum Explodieren bringen sollen – dann kracht es zwar heftig, der Fahrzeugbesatzung passiert aber nichts.

Es geht also raus und kurz nachdem wir losgefahren lässt der Turmschütze unseres MRAPs schon das Maschinengewehr loshämmern – das Fahrzeug hinter uns lässt den Granatwerfer los und die Afghanischen Soldaten im Fahrzeug vor uns springen heraus und schiessen mit ihren AK47 Schnellfeuergewehren auf irgendwas rechts und links der Strasse. Das Feuer hört so schnell wieder auf wie es angefangen ist – war nur ein Test ob alle Waffen auch funktionieren … na super …

Am Checkpoint angekommen verfolgen wir kurz die dortigen Bauarbeiten – ein LKW voll Baumaterial wird abgeladen und Soldaten der US-Army sowie afghanische Polizisten fangen munter an Heimwerker zu spielen. OK – das ist langweilig – findet auch Leutnant Chad Christian und fragt ob wir Lust auf wandern haben. In den umliegenden Hügeln haben weitere amerikanische Soldaten Feuerstellungen bezogen die die Bauarbeiten absichern – zu denen wollen wir. So ein richtig munterer Wanderausflug ist das aber nicht. Vollgepackt kraxeln wir zur ersten Stellung an der uns Staff Sergeant Nunez die Umgebung erklärt – er zeigt auf einen höheren Berg vor uns auf dem ein grosser Baum steht und sagt, dass das die Stellung sei von der die Taliban häufig auf sie herunter schiessen. Um näher an diesen “One Tree Hill” heranzukommen gibt es eine weitere Feuerstellung auf einem weiter links liegenden Berg. Zu dieser klettern wir weiter hoch und dabei geht uns fast die Puste aus – in mehr als 2500 m Höhe mit unserem ganzen Geraffelt durch die Hügel zu stapfen ist irre anstrengend.

Wir erreichen die Spitze, die von zwei Soldaten mit Maschinengewehren besetzt ist und haben einen fantastischen Blick auf die Berge Afghanistans. Auf der einen Seite der One Tree Hill auf der anderen Seite die Grenzgebirge in denen die pakistanische Grenze verläuft. Die Gegend ist trotzdem so unwirklich das Dyfed sagt es würde ihn nicht wundern wenn jetzt gleich noch eine Horde Sandmenschen aus Star Wars hier auftauchen. In den nächsten zwei Stunden sitzen wir in der Feuerstellung – nichts passiert und wir schütten dosenweise Energy-Drinks in uns rein und unterhalten uns mit Leutnant Christian, Stapf Sergeant Aras und Private Gloria über Arm, Deutsches Fernsehen, Country-Musik und die Gefahren und Auslandseinsätzen. Teilweise Small-Talk – teilweise sehr erhellende Gespräche in denen wir viele Infos bekommen.

Über Funk bekommen wir Nachricht, dass die US-Soldaten und die afghanische Polizei an der Strasse unten jetzt auch eine Strassensperre errichtet haben – und man fragt mich ob ich Lust habe das zu fotografieren. Habe ich – also geht es den Berg wieder runter und wir erreichen die Sperre an der die afghanischen Zivilfahrzeuge und LKWs angehalten werden, die Fahrer auf Waffen abgetastet werden und die Ladung kontrolliert wird, ausserdem werden von den Fahrern Fingerabdrücke genommen und ein Iris-Scan gemacht. Fahrzeuge mit verschleierten Frauen werden durchgesunken. Die hier oft vorkommenden Nomaden, die Kuchis, die mit ihrer Grossfamilie immer auf Treckern mit Anhängern unterwegs sind und als Schmuggler gelten werden ebenfalls durchgesunken. Den Affront, die Frauen die ebenfalls auf dem Traktoranhängern sind zu kontrollieren, kann man sich wohl nicht leisten. Optisch sind diese Nomadengruppen allerdings ein echtes Spektakel – grellbunte Kleider und die Fahrzeuge sind ebenfalls in allen möglichen Farben angemalt.

Spätnachmittags werden die Kontrollen eingestellt und wir fahren über die extrem staubige Strasse zurück in den COP. Die untergehende Sonne lässt den Staub um die Militärfahrzeuge leuchten – leider kann man das Schauspiel aber nicht fotografieren. Eingeklemmt in diesen mit dutzenden Kabeln und aller möglichen Waffentechnik vollgestopften Fahrzeugen kann man durch die kleinen gepanzerten Scheiben die auch noch mit Raketenabwehrvorhängen versehen sind keine Bilder machen – egal jetzt, Bilder gab es heute schon genug.

Another day in paradise

… so werde ich morgens meistens begruesst! Good morning – it’s another day in paradise. Ein bisschen Sarkasmus hat noch niemanden geschadet.

In der Nacht kommen die Platoons, die auf Mission ausserhalb waren zurueck. Es ist kaum zu erkennen, dass die Soldaten fuenf Tage draussen waren. Alle sind frisch rasiert und wirken lange nicht so müde wie ich dachte. (In der US-Army ist es Grundsatz, dass jeder Soldat immer rasiert sein muss – vollständg egal ob er gerade aus einer Gefechtsstellung kommt, oder in einem Lager herumläuft). Der Koch hat Steak und Lobster vorbereitet – eine ungewöhnlich luxuriöse Truppenverpflegung, Es wäre glaube ich aber egal gewesen – was immer dort auf dem Tisch gestanden hätte – es wäre alles verputzt worden.

Muellentsorgung im Krisengebiet: Alles auf einen Haufen, Benzin drauf und schon brennt alles. Qualm und Rauch durchziehen den gesamten COP.

Der COP ist nun wieder deutlich voller und nach den etwas drögen ersten Tagen tritt so langsam Betriebsamkeit ein. Den ganzen Tag raucht es – die Soldaten verbrennen ihren Müll, es qualmt fürchterlich und der Wind steht genau in Richtung der Truppenunterkünfte sodass eine Stunde später alles und jeder nach Qualm und Rauch stinkt.

Eigentlich wird heute der Brigadekommandeur erwartet, genau so wie der Batallionskommandeur, aber beide lassen sich nicht blicken. Dyfed und ich suchen nach Motiven und Geschichten, aber innerhalb des COPs ist nicht wirklich was zu finden – wir hoffen auf die erste Mission, die wieder raus geht, bei der wir dann mitfahren werden.

Wann genau das ist? Na – Hurry Up And Wait – immer bereit sein und dann doch wieder warten. Wir werden sehen was die nächsten Tage bringen – hoffentlich aber ein bisschen mehr Schlaf. Es ist unglaublich – da kommen Soldaten von einem Fünf-Tages-Einsatz und palavern in ihren Unterkünften noch die halbe Nacht weiter … da wir in derselben Unterkunft nur durch eine Pressholzplatte von ihnen getrennt schlafen, war an Schlaf nicht zu denken, zumal die Zimmer keine Decke haben und wenn in einem Zimmer Licht brennt alle anderen Zimmer mit beleuchtet werden.

Warum die Soldaten am morgen dann auch noch fitter aussehen als ich … ? Keine Ahnung, ich glaub’ ich werde alt …

Combat Outpost

Das Ziel unserer Reise ist erreicht. Wir sind im COP (Combat Outpost), einem Feldlager der US-Army in den afghanischen Bergen angekommen. Nach der Übernachtung im US-Stützpunkt in Sharana ging es heute mit einem Konvoi aus Militärfahrzeugen mitten hinein in die Afghanischen Berge.

Ein Regenbogen leuchtet ueber den Befestigungen des COPs in der Paktika Provinz

Die ersten Bilder entstehen und es ist ein vorsichtiges Vortasten in diese für uns fremde und unbekannte Welt.

Abends geht ein Gewitter über den COP, vorher leuchtet ein Regenbogen über den HESCOS (mit Sand und Schotter gefüllte Befestigungen die Schüsse und Granatsplitter abhalten). Geregnet hat es in den letzten Tagen hier auch – der Boden ist noch feucht und die Temperaturen auf diesem 2700 hoch gelegenen Plateau sind gemässigt, kein Vergleich zu dem heissen Bagram.

Aufgrund des Fastenmonats Ramadan hat es in den letzten Wochen angeblich kaum Feuergefechte gegeben. Nachdem Ramadan aber vorbei ist rechnet die Führung der US-Truppen derzeit täglich mit “contact” – so die offizielle Bezeichnung für eine bewaffnete Auseinandersetzung mit Aufständischen.

Da haben wir im Moment aber nichts mit zu tun. Der COP in dem wir sind gilt als sicher – ab und zu wird er angeblich beschossen, die Stellung ist aber derart gut gesichert, dass das offensichtlich nicht schlimm ist. Man kann eigentlich sehr gut einschätzen ab wann etwas sicher oder unsicher ist. Tragen die Soldaten ihre schussicheren Westen und werden ruhig scheint etwas in der Luft zu liegen. Hier im COP laufen sie teilweise mit Trainingsanzügen und Turnschuhen quer über das Gelände. Abends mit Taschenlampen die nicht mal Rotlicht benutzen – also alles safe.

Neben uns liegt eine Stadt mit ca. 30.000 Einwohnern – dort hin soll die Tage eine Patrouille gehen, der wir uns gerne anschliessen würden. Hier wird es Kontakt zur Zivilbevölkerung geben. Die Patrouillen fahren regelmässig in die Stadt und gelten ebenfalls als ungefährlich. Von den Soldaten gemachte Bilder die wir gesehen haben lassen darauf schliessen dass es dort so einige Fotomotive geben wird. Die Dorfbevölkerung macht sich überhaupt nichts daraus fotografiert zu werden, die Kinder dort finden es angeblich sogar toll. Ich hoffe also auf einige gute Bilder.

Next Exit Paktika

Nach langem Warten geht die Tour weiter. Wir verlassen Kabul mitten in der Nacht um 3 Uhr in Richtung Bagram. Dort befindet sich eine riesige Einrichtung der US-Army von der aus wir wieder weiter näher an unseren Einsatzort verlegt werden sollen. Der Flug nach Bagram mit einer Militätransportmaschine dauert nur 30 Minuten die darauf wieder folgende Wartezeit deutlich länger.

US-Soldaten warten in einer Transportmaschine vom Typ C130 die mit verschiedensten Paletten durch die Heckluke beladen wird, auf ihren Abflug.

Einen direkten Anschlussflug gibt es nicht – die nächste Maschine geht erst am kommenden Tag und so werden wir in einer Zeltstadt namens “Warrior” innerhalb des Geländes untergebracht. Shuttlebusse zirkulieren regelmässig durch die amerikanische Basis und mit einem davon fahren fast eine halbe Stunde bis wir das Camp erreichen. Hier wird uns ein Zelt zugewiesen. welches mit 160 Betten ausgestattet ist. Die meisten davon werden von sog. Contractors belegt. Das sind groesstenteils amerikanische Zivilisten, die fuer die US-Army arbeiten.

Noch am späten Abend versuchen wir den Flug in die Paktika-Provinz zu bekommen, fahren mit dem Shuttle wieder zum Airport Check-In zurück, es gibt aber keine definitive Aussage über eine Mitfluggelegenheit. Wir dürfen alle Militärmaschinen nutzen indem wir uns auf einer Liste eintragen die zu einem bestimmten Zielgebiet führt – das wollen und müssen aber auch Soldaten und Contractors, die ebenfalls in ihre Einsatzgebiete abfliegen.

In den Transportmaschinen ist aber häufig genug nicht genug Platz um viele Passagiere mitzunehmen. Also gibt es eine Priorität bei der Mitnahme. Zuallererst das zu transportierende Material, dann die Soldaten dann die Contractors und zum Schluss die Journalisten. Ist nicht genug Platz in der Maschine fliegen die Journalisten als erstes wieder raus (ist uns ein paar Mal passiert dass wir schon eingecheckt waren, dann aber wieder raus mussten weil doch noch Soldaten höherer Priorität mitfliegen mussten ), bleiben aber auf der Liste für den nächsten Flug – und das kann manchmal dauern.

Heute  morgen hat es aber geklappt und wir können nach Sharana (Zenrum der Paktika-Provinz) mitfliegen. 2000m hoch gelegen in den Bergen Afghanistans. Die Luft hier ist schon merklich dünner und beim Gepäckschleppen geht einem relativ schnell die Puste aus.

Den letzten Zielpunkt – einen Combat-Outpost in der Nähe, haben wir zwar immer noch nicht erreicht, das letzte Stück Weg werden wir vermutlich morgen mit Militärfahrzeugen machen – so ist zumindest der Plan.